0621 - Die Vergessene von Avalon
Killer rannte auf den linken Wagenschlag zu, der sich öffnete.
Auch ich lief hin.
»Bleib stehen, Fuller!«
Er dachte nicht daran.
Da schoß ich.
Ich hatte bewußt nicht hoch gehalten, denn ich wollte ihn nicht töten. Die Kugel erwischte ihn irgendwo an den Beinen. Ich hörte ihn schreien und grotesk zur Seite springen. Er verfehlte den Einstieg und prallte gegen die Karosserie.
»Bullenschwein!« brüllte Loraine wild und gab Gas. Zuviel, denn sie hatte die Kontrolle verloren.
Zwar konnte sie noch starten, aber kein Fahrzeug war stärker als ein Baumstamm.
Der alte Mercedes schaffte ihn mit einem frontalen Zusammenstoß. Ich hörte es krachen und knirschen, das Licht verlosch. Loraine schrie wie am Spieß. Hochtourig heulte der Motor, und der Wagen wurde verkürzt.
Danach war es still.
Ich lief hin, leuchtete mit meiner kleinen Lampe in den Wagen und sah Loraine blutend hinter dem verbogenen Lenkrad sitzend. Sie hatte sich nicht einmal angeschnallt, aber sie lebte noch.
Ich lief wieder zurück, um zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit anzurufen.
Diesmal wählte ich den Notruf, gab die nötigen Erklärungen ab und verließ das Haus wieder.
Eine Gestalt durchlief schwankend den Garten. Es war Melusine, die sich aus den Büschen befreit hatte und sichtlich aufatmete, als sie meine Stimme vernahm.
»Es ist alles okay, Melu, es ist alles okay…«
***
Die Kollegen waren hocherfreut darüber, welch ein Fang ihnen ins Netz gegangen war. Ich ließ sie wirken, hockte im Wohnraum und trank einen starken Kaffee, wobei ich eine Zigarette rauchte, dem Qualm nachschaute und daran dachte, daß der Fall eigentlich erst am Beginn stand. Avalon und der Weg dorthin waren mir noch verschlossen geblieben. Dennoch glaubte ich Melusines Worten und war fest davon überzeugt, daß es einen Pfad geben würde.
Irgendwann in den späten Abendstunden verließen uns die Kollegen. Den Mercedes wollten sie am anderen Tag abholen lassen. Ich ging noch mit ihnen nach draußen.
Meine Kugel hatte Fuller ins Bein getroffen und dort eine Fleischwunde hinterlassen. Auch Loraine würde durchkommen, das hatte mir der Arzt versichert.
Da die Kollegen wußten, wer ich war, ließen sie mich mit vielen Fragen in Ruhe. Ich war froh, als die Heckleuchten ihrer Fahrzeuge in der Dunkelheit verschwammen.
Langsam ging ich zurück ins Haus, wo Melusine de Lacre auf mich wartete. Sie hockte auf einem Sitzkissen, die gepackte Tasche stand neben ihr, gehütet wie ein Schatz.
Sie konnte mein Lächeln zwar nicht sehen, dennoch zeigte ich diesen Ausdruck. Vielleicht merkte sie es oder hörte es aus meiner Stimme heraus.
»Jetzt sind nur mehr wir beide da!« sagte ich und nahm auf einem Sessel Platz.
»Ich weiß.«
»Dann weißt du auch, wie es weitergehen soll, Melu? Avalon hast du sehen können…«
»Stimmt, John. Nur reicht es nicht. Ich muß einfach hin, wenn ich wieder gesund werden will. Ich bekomme nur auf der Insel mein Augenlicht zurück.«
Ich hütete mich, nach den Gründen zu fragen und ging davon aus, daß sie bestimmt vorhanden waren. »Das sehe ich ein, Melu. Nur möchte ich dich fragen, wie du es schaffen willst.«
»Es gibt einen Weg, John.«
»Darf ich fragen, welchen?«
Sie hob die Schultern. »Eine direkte Antwort kann ich dir nicht geben, aber dieser Weg ist eng mit deiner Existenz verbunden. Er ist nicht einfach – Menschen werden zu leiden haben – aber ich muß ihn gehen. Jetzt, wo ich dich endlich gefunden habe, ist es noch wichtiger als sonst. Das mußt du mir glauben.«
»Darf ich dich dabei unterstützen, Melu?«
Sie überlegte einen Moment, bevor sie antwortete: »Indirekt ja. Damit bin ich einverstanden. Du mußt mich sogar unterstützen, John. Ich will es so haben.«
»Und wie kann ich das?«
Abrupt stand sie auf. »Es ist nicht schwer. Ich möchte gern mit zu dir fahren und bei dir bleiben.«
»Hm. Im Prinzip habe ich nichts dagegen. Ich frage mich nur, wie lange du bleiben willst.«
»Nicht sehr lange, da ich den Weg nach Avalon finden will. Kommst du, John?«
Sie ging bereits zur Tür, und sie schritt aus, als würde es sie überhaupt nicht berühren, all das zurückzulassen, was ihr einmal lieb und teuer gewesen war.
Welches Rätsel verbarg sich hinter Melusine de Lacre? Und was hatten ihre toten Eltern damit zu tun?
Ich war davon überzeugt, daß auch mir ein sehr schwerer Weg bevorstand, bis es zu einer Lösung kam.
Dann schlug ich die Haustür zu und schritt neben Melusine her zu meinem
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