0622 - Das Monstrum von der Nebelinsel
Störung nicht unangenehm gerührt war.
Gern gehörte zu der jüngeren Generation von Kulturhistorikern, trug eine bunte Fliege zum grauen Anzug und ein gestreiftes Hemd.
Sein Haar hatte er wie eine braune Flutwelle zurückgekämmt, wo sich die Enden dann innerhalb des Nackens ausbreiten konnten. Er machte eher den Eindruck eines Sportlers und schaute Suko aus den ebenfalls braunen Augen offen an.
»Wenn die Polizei um diese Zeit kommt und dermaßen drängt, muß es wichtig sein.«
»In der Tat.«
Gern deutete in die Runde »Reicht Ihnen mein Arbeitszimmer, oder müssen wir ms Archiv?«
»Es hängt davon ab, wie Sie mit meinen Fragen zurechtkommen, Professor.«
Gern strich über den mit Papieren beladenen Schreibtisch »Lassen Sie den Titel weg, der macht mich immer so alt.« Er lachte breit. »Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Es geht mir eigentlich nur um einen Namen, den ich zuvor noch nie gehört habe.«
»Bitte.«
»De Lacre!«
Der Wissenschaftler zog die Stirn kraus. Er wiederholte den Namen einige Male, wollte die Schultern heben, sah wohl ein, daß es seinen Besucher zu sehr deprimiert hatte und erkundigte sich statt dessen, ob Suko mit Einzelheiten dienen konnte.
»Da er sich französisch anhört, gehe ich davon aus, daß man dort nachforschen sollte.«
»Das ist mir klar, Inspektor. Wie halten Sie es denn mit einer ungefähren Zeitangabe?«
Suko lächelte knapp »Das ist nicht einfach. Ich gehe davon aus, daß die de Lacres ein altes Geschlecht sein müssen, das bis heute Bestand hat, seine Blütezeit aber meiner Ansicht nach im Hohen Mittelalter gehabt haben muß. Und das in Frankreich.«
»Das Land ist und war groß«, meinte Gern »Gerade in Frankreich hat es der Adel immer leicht gehabt, es gab sehr viele Familien, und in die Zeit des Hohen Mittelalters existierte zudem ein gewaltiges Durcheinander, wie Sie vielleicht wissen.«
»Das ist mir bekannt.«
Gern lächelte. »Nun haben Sie insofern Glück, daß ich mich mit dieser Zeit beschäftigt habe. Ich will Ihnen auch sagen daß der Name de Lacre bei mir einige Glocken zum Klingeln gebracht hat. Da hat es mal etwas gegeben, und zwar im Zusammenhang mit einem Mythos, der bis heute nicht richtig erforscht wurde, weil es damals um Ketzerei ging und die offizielle Kirche viele Unterlagen vernichtete.«
In Suko war das Jagdfieber erwacht »Das konnte eine Spur sein. Vielleicht ist sie das sogar.«
»Möglich. Nur kann ich Ihnen aus dem Kopf nicht sagen, was diese de Lacres getan haben.«
»Ungefähr denn?«
Der Wissenschaftler sah ein wenig ratlos aus »Ich will Ihnen nichts Falsches sagen, aber meines Wissens nach hing der Name de Lacre mit dem Orden der Katharer zusammen, die damals in Frankreich einen großen Einfluß besaßen.«
»Ähnlich wie die Templer?«
»Nicht ganz so aber es hat sie gegeben, und sie sind auch verfolgt worden.«
»Können Sie mir mehr über die Katharer erzählen?«
Die beiden Männer standen sich gegenüber. Nur der Schreibtisch trennte sie »Das ist mit wenigen Worten nicht gesagt aber ich will es gern versuchen. Nach heutigen Erkenntnissen liegen die Wurzeln des kartharischen Glaubens bei den Bogomilen, einer Sekte die in Bulgarien ihren Ursprung gehabt hat. Das war im elften Jahrhundert. Aus irgendwelchen Gründen zogen die Missionare der Sekte nach Westen und ließen sich in Frankreich nieder. Heute bestreitet man, daß die Katharer etwas mit den Bogomilen zu tun gehabt hatten, die Forschung gibt den Skeptikern immer mehr recht. Bleiben wir bei den Kartharern. Sie müssen sich vorstellen, daß die Kirche damals sehr verkrustet gewesen ist und die Katharer Ideen einbrachten, die bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fielen. Die Mitglieder des Ordens lebten in Demut und Einfachheit. Sie mochten auch die prunkvollen Kirchen nicht und hielten ihre Feiern deshalb im Freien ab oder in anderen, kleineren Räumen. Meditative Übungen waren ihnen ebenfalls nicht unbekannt. Sie lebten vegetarisch, der Verzehr von Fisch war ihnen aber erlaubt. Sie zogen stets paarweise über Land, so kamen sie in den Geruch der Homosexualität. Nicht nur das einfache Volk fühlte sich von der Lehre angesprochen, auch Adelige tendierten zu den Kartharern. Ihnen gefiel deren Toleranzangebot, was ja in der offiziellen Kirche nicht vorhanden war. Das alles sprach sich bis Rom herum, und irgendwann einmal machte Rom gegen die Ketzer mobil. Papst Innozenz III rief zu einem gewaltigen Kreuzzug gegen die Katharer auf, denn die Ketzer
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