0625 - Die Schrumpfkopf-Königin
sagen.
Es fiel mir schwer, gegen Johnnys Worte zu sprechen. »So darfst du das nicht sagen, Junge. Nadine gibt es auch weiterhin. Ich glaube nicht, daß sie auf der Insel ihr Leben verlieren wird.«
Er schaute mich aus großen Augen unverstanden an. »Aber sie ist nicht hier.«
»Das stimmt.«
»Sie war so…«, er hob die Schultern, weil es ihm nicht mehr gelang, weiterzusprechen. Dann schaute er seine Mutter an, und Sheila legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Onkel John hat recht, Junge. Nadine wird bestimmt nicht sterben. Auch wenn es ein anderes Land ist, von dem wir kaum etwas wissen.«
»Aber ich kann nicht mehr mit ihr sprechen. Sie… sie ist nicht mehr bei uns Mum.«
»Und wenn es ihr tatsächlich gelingt, wieder ein Mensch zu werden, Junge?«
»Das wäre… das wäre …« Er sprang auf, schüttelte den Kopf und rannte weinend aus dem Zimmer. Wir hörten noch, wie seine Zimmertür zuschlug.
»Verdammt«, sagte ich nur, »verdammt noch mal…«
»Sorry«, flüsterte Sheila, erhob sich und verließ den Raum, um ihrem Sohn nachzueilen.
Zurück blieben Bill und ich.
»Willst du einen Whisky, John?«
»Okay.«
Auch Bill schenkte sich einen Doppelten ein. Wir tranken die ersten Schlucke, waren dabei aufgestanden, ans Fenster gegangen und schauten in den winterlichen Garten der Conollys.
»Was soll ich dazu sagen, John? Ich weiß, daß du richtig gehandelt hast. Es gab keine andere Chance für dich.«
»Sicher.«
»Und du hättest auch nicht wegen Johnny verzichten sollen. Selbst ich als sein Vater hätte es nicht getan. Das ist die Sache nicht wert. Du bist wieder so wie früher, nur das zählt, John, nur das. Du mußt gegen die Mächte der Finsternis ankämpfen, wie es immer so schön heißt. Da kannst du kein alter und schwacher Mensch sein. Du hast doch selbst erlebt, wie es ist, so gut wie hilflos zu sein.«
»Leider.«
»Deshalb meine ich, daß du dir trotz Johnnys großer Enttäuschung keine Vorwürfe zu machen brauchst. Ich hätte, das wiederhole ich noch einmal, auch nicht anders gehandelt.«
Ich blies den Atem über die Oberlippe hinweg und gegen meine Nase. »Das ist alles richtig, Bill. Trotzdem kann ich einfach nicht glücklich darüber sein.«
»Stimmt.«
»Es ist eine Klemme. Ich kann deinem Sohn nicht mehr in die Augen schauen. Wenn ich ihn sehe, bekomme ich automatisch Schuldgefühle. Was habe ich ihm angetan? Jahrelang haben Nadine und er sich aneinander gewöhnt. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Plötzlich sind sie auseinandergerissen worden. Einfach so. Eiskalt und grauenhaft. Das Band zwischen ihnen wurde zerschnitten.«
Bill runzelte die Stirn. »Noch einmal, John. Es hat keine andere Möglichkeit gegeben, davon lasse ich mich auch nicht abbringen. Außerdem werde ich mit Johnny in einer stillen Stunde reden.« Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich bin davon überzeugt, John, daß er es verstehen wird.«
»Nein, Bill, das ist unmöglich. Der Junge kann die Dinge einfach nicht überblicken. Er ist ein normaler Mensch und kein Übermensch. Gewisse Dinge sind ihm zwar nicht fremd, aber das Begreifen der großen Zusammenhänge fehlt ihm dennoch.«
Ich hob die Schultern. »Wer blickt da schon durch, Bill? Auch ich schaffe es nicht.«
»Da hast du es.«
Ich ging vom Fenster weg. Auf einer Sessellehne ließ ich mich nieder. »Stellt sich nur die Frage, ob Nadine es auf der Nebelinsel tatsächlich schafft, ihren normalen Körper wieder zurückzubekommen. Ich… ich kann daran noch nicht glauben. Und wenn es tatsächlich so sein sollte, ist damit noch immer nicht gesagt, daß sie Avalon auch verlassen kann. Dort hat der Zauberer Merlin das Sagen.«
»Na und?«
Ich lachte Bill hart an. »Du bist gut. Merlin ist eine Person, die ich nicht einschätzen kann. Sein Vater soll der Teufel gewesen sein, wenn man den alten Sagen Glauben schenken darf. Okay, er hat ihn verlassen und ist seinen eigenen Weg gegangen, der nicht unbedingt mit dem unseren übereinstimmen muß. Die Insel ist ein Rätsel. Dort kannst du den Tod überwinden und zwar durch eine bestimmte Kraft.«
»Sprich es aus, John!« forderte der Reporter.
»Gut, Bill. Es kann sein, daß es die Kraft des Teufels ist. Eben durch Merlin, und ich glaube kaum, daß der Teufel indirekt daran Interesse hat, Nadine am Leben zu lassen. Der hat seine Fallstricke ausgelegt, das kannst du mir glauben.«
»Dann hast du nicht viel Hoffnung?«
»Ich hoffe darauf, daß ich mich irre.«
Bill verzog den Mund. »Das
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