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0627 - Tanz der Kobra

0627 - Tanz der Kobra

Titel: 0627 - Tanz der Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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wenn er es noch gewollt hätte, hätte er den Mahindra jetzt nicht mehr über die Brücke bekommen, weil eine Planke fehlte. »An Gepäck werden wir wohl kaum etwas brauchen. Ein paar Decken, Wasserflaschen, das Insektenschutzmittel, den Ultraschallsender, ein paar Reservebatterien für die Strahlwaffen, die Petroleumlampe, die Flasche mit dem Petro… die Taschenlampen… der Rest kann eigentlich hier bleiben.«
    Er packte die Sachen zusammen und verschnürte sie so, daß er sie sich rucksackähnlich umhängen konnte. Dann betrat er, wesentlich vorsichtiger als anfangs, erneut die Hängebrücke.
    Nicole folgte ihm kopfschüttelnd. Sie fragte sich, ob es nicht von Anfang an einfacher gewesen wäre, zu Fuß zu gehen. Was hatte Zamorra mit seiner Fahrkunst beweisen wollen? Der Wagen steckte jetzt nur noch unwiderruflicher fest als vorher und war kein Fluchtinstrument mehr.
    Aber sie hütete sich, diese Frage Zamorra zu stellen. Er würde sich möglicherweise angegriffen fühlen. Und daran war ihr nicht gelegen.
    Es dämmerte bereits, als sie heil auf der anderen Uferseite ankamen. Nicole winkte dem Mahindra wie einem alten Kameraden abschiednehmend zu; ob sie den Wagen und ihr restliches Gepäck jemals wiedersahen? Wahrscheinlicher war, daß auch die Autovermietung in Delhi künftig zu denen gehören würde, die Zamorra auf der Schwarzen Liste führte; der Verschleiß an Mietwagen war, über die Jahre gerechnet, doch recht enorm.
    Hinter der Brücke führte ein schmaler Fußweg weiter bergauf in den Wald hinein.
    Sie marschierten los.
    Schon bald war von der Hängebrücke nichts mehr zu sehen.
    Da bewegte sich eine menschengroße Kobra über die Brücke hinter den beiden Dämonenjägern her…
    ***
    Belani hatte noch ein wenig musiziert, es wurde getanzt, aber schon bald beruhigten sich die Gemüter, und man begab sich zur Ruhe. Am anderen Morgen begann früh das Tagwerk für die Dorfbewohner, um die kühleren Vormittagsstunden zu nutzen. Die Schlangenfänger wollten ebenfalls früh aufbrechen.
    Andra konnte nicht einschlafen.
    Er dachte immer wieder an die Messing-Kobra. Er spürte die Gefahr, die von ihr ausging, beinahe körperlich, aber er konnte seltsamerweise überhaupt nichts dagegen tun. Das war ihm vorhin wieder bewußt geworden, als er mit Belani darüber sprach. Sie hatte doch recht mit ihren Vorwürfen. Was sollte die Schlange hier bei ihnen, wenn sie nie bei den Vorstellungen der Gauklerfamilie eingesetzt wurde? Es wäre besser gewesen, sie einfach wieder freizulassen. Doch irgendwie konnte Andra sich dazu nicht durchringen. Er hatte es ja selbst schon ein paar Dutzend Male tun wollen, hatte es versucht - und war jedesmal wieder davor zurückgeschreckt.
    Es war, als hindere ihn eine innere Stimme daran, das zu tun, was er tun wollte.
    Die Kobra bestimmt mein Denken und Handeln, durchfuhr es ihn. Sie kontrolliert mich, zwingt mir ihren Willen auf!
    Er erhob sich von seinem Lager und verließ das Zelt. Auf dem. Platz zwischen den Hütten war das Feuer fast niedergebrannt; die Glut und die kleiner werdenden Flammen spendeten nur noch wenig Licht. Der Geruch nach gebratenem Fleisch hing noch in der Luft.
    Am Feuer saß ein dürrer, alter Mann, den Andra bei Tage und auch später während des Festes nicht gesehen hatte.
    Sollte es in diesem kleinen Dorf wirklich jemanden geben, der sich die ganze Zeit über nicht gezeigt hatte, sondern erst jetzt auftauchte, als alles vorbei war und beinahe jeder sich bereits zum Schlafen niedergelegt hatte?
    Andra konnte sich nicht vorstellen, daß der Mann ein einsamer Wanderer war, der erst jetzt eintraf. Er hätte sicher irgendwie auf sich aufmerksam gemacht, um ein Nachtlager zu erbitten.
    Aber er saß einfach nur da.
    Andra trat zu ihm ans Feuer.
    »Setz dich, Freund meiner Kinder«, sagte der dürre Mann. »Ich sah dein Tun voller Wohlwollen.«
    Andra hockte sich ihm gegenüber auf die andere Seite der Glut. »Was hast du gesehen? Du warst nicht hier.«
    »Ich war immer hier«, sagte der Dürre. »Mir gefällt dein Tun. Doch Böses umfängt deine Familie. Du wirst eine Entscheidung treffen müssen.«
    »Wovon sprichst du, alter Mann?« fragte der Gaukler.
    Der Alte hob den Kopf. Andra sah seine Augen, und sah sie doch nicht. Da blitzte etwas auf, ein unglaubliches Licht, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte der Schlangenfänger den Eindruck, nicht ein Mann sitze vor ihm, sondern - viele Männer, Männer und Frauen, ein ganzes Volk, ein Universum voller Menschen.

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