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0627 - Tanz der Kobra

0627 - Tanz der Kobra

Titel: 0627 - Tanz der Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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neben ihr nieder. »Bist du sicher?« fragte er leise.
    Siha nickte ernsthaft. »Ich habe ihren Schwanz gesehen, als sie im Loch verschwand«, behauptete sie.
    »Eine Kobra?«
    »Ja.«
    »Wie groß?«
    »So groß«, sagte Siha und deutete die Größe mit ausgestreckten Händen an.
    »Dann wollen wir das Gebet sprechen«, sagte Andra.
    Zamorra und Nicole lauschten diesem Gebet.
    Es richtete sich an den ›Gott der Kobra‹. Zamorra verstand genug von dem Dialekt, in welchem die Schlangenfänger sprachen, um für Nicole übersetzen zu können. Aus dem Gebet ging hervor, daß der Mensch der Schlange nichts Böses will, und daß er sie nach alter Tradition nach 90 Tagen wieder freilassen darf. »Gott der Kobra, du weißt das«, schloß Andra.
    Er erhob sich wieder und bemerkte Nicoles irritierten Gesichtsausdruck.
    »Das Gebet«, sagte er, »geht auf ein Versprechen zurück, das alle Schlangenfänger einst Shiva gaben, und dieses Versprechen wird bei jedem neuen Fang von jedem Fänger wiederholt. Gerät der Mensch mit der Freilassung nur um einen Tag in Verzug, hat die Kobra das Recht zu töten.«
    »Ist das schon einmal vorgekommen?« fragte Nicole unbehaglich.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Andra. »Mir ist nicht bekannt, daß jemals einer von uns Menschen das Versprechen nicht erfüllt hat. Wir werden uns auch hüten, uns diesem Risiko auszusetzen. Es wäre Verrat, an den Schlangen ebenso wie am Gott der Kobra, und ich möchte ihre rächenden Zähne nicht in meinem Fleisch spüren.«
    »Warum nehmen Sie den Tieren nicht die Giftzähne?« fragte Nicole. »Das wäre doch auch für die Zuschauer sicherer - und natürlich auch für Sie selbst. Wenn ich sehe, daß Ihre Kinder hier…«
    »Die Schlangen tun den Kindern nichts«, sagte Andra überzeugt. »Solange wir dafür sorgen, daß die Schlangen immer satt sind, gibt es kein Problem. Sie werden das vielleicht nicht verstehen, weil Sie nicht zu uns gehören. Es gibt viele, die sagen, wir sollten den Schlangen die Giftzähne nehmen oder die Giftdrüsen herausschneiden. Aber, mal ehrlich: Würde es Ihnen gefallen, wenn man Ihnen die Hände abschneiden würde?«
    Nicole schüttelte den Kopf.
    »Sehen Sie, so ist es auch bei den Schlangen. Es würde ihnen auch nicht gefallen. Und wir wollen und dürfen ihnen nicht schaden. Wenn wir ihnen das Gift nehmen, was sollen sie dann tun, wenn wir sie wieder freilassen? Wie sollen sie sich ernähren, wie sollen sie überleben, wenn sie ihre Giftzähne nicht mehr besitzen?«
    »Sie wildern sie also tatsächlich aus?«
    »Tatsächlich«, bestätigte Andra etwas spöttisch. »Nach spätestens neunzig Tagen, wie es das Gelübde an den Gott der Kobra verlangt. Und deshalb müssen die Tiere auch giftig bleiben.«
    »Dieser Gott der Kobra ist also Shiva, wenn ich das alles richtig verstehe?«
    »Der Gott Shiva ist für die Schlangen zuständig; er schmückt sich mit der Kobra wie Menschen mit Schmuck, und er hat die Kobra zu seinem Gefährten gemacht«, sagte Andra ruhig.
    Unterdessen hatte Rahan die Öffnung in der Böschung erweitert, die in das Schlangennest führte. Mit einem Holzstab begann er, darin herumzustochern und Erde wegzubrechen. Schon nach wenigen Augenblicken war er über einen Meter tief vorgedrungen.
    »Da!« rief Siha aus.
    Von einem Moment zum anderen zeigte sich die Schlange. Die Kobra stieß zornig nach dem Stock, den sie natürlich nicht verletzen und mit ihrem Gift lähmen konnte, obgleich sie ihn präzise traf. Rahan schüttelte den Kopf; er war mit sich selbst unzufrieden. Es ging ihm nicht darum, daß die Kobra ihr Gift in das Holz jagte; es war eher ein Geschicklichkeitsspiel, das verlangte, daß die Schlange nicht traf!
    Er lockte sie mit weiteren Attacken ins Freie.
    Belani stand jetzt unmittelbar neben dem Erdloch, noch näher dran als Rahan. Sie griff nach der Kobra, verfehlte sie aber. Plötzlich glitt die Schlange vollends aus dem Loch hervor und jagte in hastigen Schlängelbewegungen über den Boden davon, durch das hohe Gras, von der Färbung her kaum sichtbar; gut getarnt.
    Nicht gut genug für die Menschen.
    Ausgerechnet die kleine Siha stand günstig.
    Sie packte einfach zu.
    Nicole schrie auf.
    Siha bekam die Kobra am Schwanzende zu fassen und riß sie sofort vom Boden hoch. Der Schlangenkörper bewegte sich hektisch, zuckte hin und her, drohte sekundenlang Sihas Beine zu berühren. Aber im gleichen Moment schleuderte das Kind die Kobra wieder von sich und Andra vor die Füße.
    Andra bückte sich,

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