063 - Das Verrätertor
zu lassen.
»Sie sind eine Freundin Sir Richard Hallowells von der Berwick-Garde, und ich möchte Sie ganz offen fragen, ob Sie mit Sir Richard verlobt sind?«
»Nein«, sagte Hope.
»Ist er ein sehr guter Freund von Ihnen?« Das Mädchen zögerte.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Er ist ein sehr guter Freund.«
»Ist er ein so lieber Freund« – Mrs. Ollorby sprach sehr langsam, »daß er alles auf der Welt für Sie tun würde?« Hope starrte die Frau an. »Ich verstehe nicht – «, begann sie.
»Lieben Sie einander?« fragte Mrs. Ollorby geradezu. Das Erröten Hopes gab ihr die Antwort.
Bevor Hope ihre Stimme wieder in der Gewalt hatte, fuhr sie schnell fort: »Sie werden denken, daß ich Mut habe – und ich habe ihn auch! Aber was ich. Ihnen sagen wollte, Miss Joyner, Sir Richard ist nach meiner Meinung ein anständiger Mann. Ich bitte Sie, es wohl zu überlegen, bevor Sie etwas verlangen, was ein Ehrenmann nicht tun würde.«
Hope konnte nur hilflos den Kopf schütteln. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Sie damit sagen wollen, Mrs. Ollorby«, sagte sie. »Aber Sie können sicher sein, daß ich Richard niemals um etwas bitten würde, was unehrenhaft ist. Ich bin sehr erstaunt, daß Sie überhaupt annehmen, ich könnte so etwas tun.«
»Das nehme ich nicht an!« Mrs. Ollorby sprach sehr begeistert. »Ich bin nur neugierig, ob…« Sie zögerte – »vielleicht habe ich Verwirrung angerichtet. Sicher habe ich Ihnen Grund gegeben, ärgerlich zu sein, selbst wenn Sie es nicht sind. Haben Sie jemals Sir Richard Hallowell gebeten, Ihnen einen Gefallen zu tun einen Gefallen, der eine Vernachlässigung seiner Pflicht bedeuten würde?« – »Nein«, sagte Hope entrüstet. »Wirklich, Mrs. Ollorby, Sie sind mir mehr als rätselhaft.«
»Bin ich das?« Mrs. Ollorby war die Zerknirschung selbst. »Miss Joyner, ich bin in einer sehr peinlichen Lage. Ich weiß eine Menge Dinge, die ich nicht wissen dürfte – wenn Sie so klug wären wie ich, wäre es nicht nötig, auf den Busch zu schlagen.« Sie seufzte schwer. »Aber Sie sind es eben nicht! Sie kennen natürlich Tiger Trayne nicht? Sie brauchen ihn auch nicht zu kennen, er gehört nicht zu Ihren Gesellschaftskreisen.
Und Mr. Graham Hallowell – den kennen Sie auch nicht?« Sie machte eine Pause.
»Ich weiß von ihm«, sagte Hope ruhig. »Er ist Sir Richards Bruder, und er war – in Not. Richard und er sind nicht die besten Freunde. Er ist mir niemals vorgestellt worden, obgleich – «
Sie hielt inne und lächelte. Sie mußte an den Brief von heute morgen denken.
»Obgleich es einige Leute gibt, die denken, daß er Ihnen vorgestellt ist«, vollendete Mrs. Ollorby scharfsinnig. Sie schloß ihre Tasche mit einem lauten Knacken zu.
»Sir Richard Hallowell ist ein schöner Mann«, sagte sie. »Es gibt so leicht niemand, den ich so bewundere wie ihn, außer Ihnen! Das ist eine ganz offene Schmeichelei. Aber Offenherzigkeit ist meine Schwäche.«
Sie nahm ihre Visitenkarte wieder zurück, drehte sie um und schrieb schnell mit einem Bleistift, den sie aus einer verborgenen Tasche hervorholte, etwas auf die Rückseite. Dann legte sie die Karte wieder in Hopes Hand.
»Das ist meine Privatadresse. Es ist möglich, daß ich für einige Tage nicht nach Hause komme. Aber wenn Sie irgendwie Unannehmlichkeiten haben oder sich über irgend etwas ängstigen, womit Sie Sir Richard nicht belästigen wollen, so können Sie mich ruhig anrufen.«
»Welche Unannehmlichkeiten könnten mir denn zustoßen?« fragte Hope halb belustigt und halb erstaunt.
Mrs. Ollorby zuckte die breiten Schultern.
»Das mag der Himmel wissen«, sagte sie. »London ist eine große Stadt von besonderer Art, wo Unannehmlichkeiten schnell über einen kommen.«
Sie ging zur Tür.
»Ich würde sehr froh sein, wenn Sie mir einen Gefallen tun würden, Miss Joyner. Bitte erwähnen Sie Ihrer Zofe gegenüber weder meinen Namen noch meinen Beruf.«
Bevor ihr Hope eine scharfe Antwort geben konnte, daß es nicht ihre Gewohnheit sei, ihre Zofe ins Vertrauen zu ziehen, war Mrs. Ollorby gegangen.
Die dicke Frau ging schnell in Richtung des Piccadilly Circus. Sie summte mit tiefer Baßstimme vor sich hin und schien Welt und Menschen vergessen zu haben. In einiger Entfernung hinter ihr ging ein hoch aufgeschossener, schlanker, rothaariger junger Mann, der eine große Hornbrille trug. Sein Anzug war ein wenig zu klein für ihn, Arme und Beine schauten aus Ärmeln und Hose weit hervor. Er verlor Mrs.
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