063 - Das Verrätertor
bestimmten Frau.«
»Sie sprechen doch von einer Frau«, bestand sie. »Ich sprach von niemand«, sagte Bobby heuchlerisch. »Ich fragte nur, ob das rückwirkend ist.«
Sie holte tief Atem und bekam langsam wieder Farbe. »Rätsel machen mir Kopfschmerzen.« Und als im Augenblick darauf der Adjutant und ein anderer Offizier hereinkamen, machte sie keinen Versuch, ihre Erleichterung zu verbergen. »Guten Tag, gnädige Frau!«
Bobby pfiff, als er über den Platz schritt, und war so in Gedanken, daß er fast vergaß, die Grüße zu erwidern, als er mit langen Schritten an dem Wachthaus unter dem achthundertjährigen Fallgatter des Blutturmes vorbeiging.
Der Sergeant der Torwache stand am Ende der Brücke über den Festungsgraben und beobachtete das Eindrillen nachlässiger Soldaten. Er stand stramm, als sich der Offizier näherte. Bobby erinnerte sich, hielt an und fragte etwas.
»Ja, Herr Leutnant«, sagte der Sergeant. »Sir Richard ist eben weggegangen.«
Bobby lief schnell und holte seinen Freund noch ein, als dieser gerade in ein Auto steigen wollte.
»Ich gehe auch nach dem Westend«, sagte Bobby, als er sich neben ihm niederließ.
Er betrachtete Dick Hallowells umdüsterte Stirn und lächelte.
»Cynthia war aber in Form diesen Nachmittag, sie kam mir auch ganz rätselhaft vor. Nach deinem wilden und grimmigen Gesicht, mit dem du mich anranntest, habe ich angenommen, daß du mit ihr über Hope Joyner gesprochen hast.« Dick nickte.
»Sie scheint beschlossen zu haben, daß ich das Regiment verlassen muß«, sagte er bitter. »Und wirklich – ich weiß nicht, was man gegen sie tun könnte. Der Oberst hat sich in der Sache mit Graham sehr vornehm benommen, deshalb muß ich in dieser Frage nachgeben. Es kümmert mich wenig, daß ich meinen Abschied nehmen muß, obwohl das eine Familientradition bricht. Was mich kränkt, ist die stillschweigende Nichtachtung, die man Hope entgegenbringt.«
Bobby erinnerte sich plötzlich an etwas.
»Da du von Graham sprachst – er war diesen Nachmittag im Tower.«
Dick blickte erstaunt auf. »Zum Teufel, woher weißt du das?«
»Mein Bursche sah ihn – er besuchte die Schatzkammer.«
Dicks Gesicht verfinsterte sich.
»Graham gehört nicht zu den Leuten, die Vergnügen an großen Menschenmengen finden, und an einem Sonnabend hätte ich ihn am letzten hier erwartet.«
»Es ist vielleicht nicht so sonderbar, wie du annimmst«, sagte Bobby. »Das ist doch der einzige Tag, an dem er überhaupt zum Tower kommen kann. Denn es sind dann so viele Leute da, daß er unbemerkt in der Menge verschwindet.«
Dick schüttelte den Kopf.
»Warum sollte er unbemerkt sein wollen?« fragte er. »Schatzkammer? Ich habe niemals gewußt, daß Graham ein patriotisches Interesse an Kroninsignien hat.«
Der Gedanke an seinen Bruder beschäftigte sein Gemüt. Bobby sagte plötzlich zu ihm: »Bitte, versprich mir eins, nimm deinen Abschied nicht – und verrate diese Absicht weder dem Oberst noch sonst jemand, bevor du dich mit mir ausgesprochen hast.«
»Es gibt nur einen Menschen in der Welt, mit dem ich mich darüber aussprechen kann, Bobby«, sagte er, »und den werde ich in fünf Minuten sehen.«
Er scheute vor diesem Gespräch zurück, als er in das schöne Vestibül von Devonshire House eintrat. Daß er Hope verletzen mußte durch die Erwähnung ihrer dunklen und unbekannten Herkunft, war ihm fürchterlich. Sie mußte den Kummer in seinen Zügen gelesen haben, als sie quer durch die getäfelte Halle auf ihn zuschritt, um ihn zu begrüßen.
Aber plötzlich lächelte sie.
Und dann nahm er sie ohne ein Wort bei den Schultern, beugte sich nieder und küßte sie. Er hatte sie vorher nie geküßt und fühlte, wie sie unter seinen Händen zitterte. Sie schwiegen. Es gab keine Liebesworte, keine geflüsterten Fragen und keine scheuen Antworten. Er legte den Arm um sie, und sie gingen in das Besuchszimmer.
Einen Augenblick sahen sie einander ernst und forschend an.
»Ich habe niemals davon geträumt, daß ich das tun würde«, sagte er einfach. »Aber – es geschah eben.«
Dann fuhr er fort, ohne auf eine Antwort zu warten: »Ich war bei Lady Cynthia Ruislip – der Gattin meines Obersten – diesen Nachmittag – «
»Und sie erkennt mich nicht an«, sagte sie schnell. »Sie hat mich niemals anerkannt – weil ich ein Niemand bin. Nicht wahr, Dick?«
Er nickte. Dieser Augenblick war nicht zu höflichen Erklärungen geeignet. »Wer hat dir dies gesagt?«
»Das weiß ich seit langer
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