063 - Das Verrätertor
den Fürsten. Einen andern.«
Wahrscheinlich den Sekretär, dachte Colley.
»Er hat seine Anweisungen bekommen. Ich frage niemals, und so brauche ich mich auch nicht belügen zu lassen. Ich kann Ihnen nur sagen, ich wünschte, sie wäre nicht mitgekommen. Er ist direkt scharf auf Weiber – wenn sie schön sind.«
Zum erstenmal an diesem Abend fühlte sich Warrington nicht recht wohl. Ob es dem Mädchen, dessen Kopf auf seinen Knien lag, gut oder schlecht ging, war ihm ziemlich gleichgültig. Das kümmerte ihn wenig. Aber was würde er an Bord dieses alten Blechkastens mit einem niederträchtigen Kapitän erleben, der scharf auf Weiber war? Er wünschte, er hätte sich niemals auf die Sache eingelassen. Schließlich hätte er sich ja noch vor der Fahrt nach Indien drücken können. Vielleicht waren Aufträge für ihn an Bord, und er hoffte stark, daß er wieder an Land gehen könnte.
Es war beinahe ein Uhr, als sich Joab umwandte und ihm zurief, daß die >Pretty Anne< in Sicht käme. Als sie sich von hinten dem Schiff näherten, sahen sie nur eine schwach leuchtende Laterne an Bord. Soweit man wahrnehmen konnte, war auch keine andere Beleuchtung vorhanden, um ihnen den Weg zu zeigen. Eine rauhe Stimme vom Deck rief sie an.
»Bist du es, Joab?«
»Jawohl, Vater.«
»Hast du sie?«
»Ja.«
»Mach das Boot fest. Komm nach oben, Joab – Sammy!«
»Ja, Massah?«
Der andere Insasse des Bootes war der Stimme nach wohl ein Neger.
»Lege diesen Strick um sie!«
Ein Gegenstand fiel auf den Boden des Bootes. Colley hob das Mädchen auf, während der Neger das Seil um sie legte.
»Sie ist festgebunden, Massah!«
»Ist sie besinnungslos, betäubt?«
»Jawohl«, sagte Colley und beobachtete, wie die schlanke Gestalt an Deck gezogen wurde und in der Finsternis verschwand.
»Komm nach oben, Sammy!«
Der Neger kletterte schnell an der Seite des Schiffes hoch, nachdem er den Bug des Bootes an der Strickleiter befestigt hatte.
»Nun kommen Sie herauf – Sie da unten!«
Colley ergriff das Tau und begann den schwierigen Aufstieg. Einen Arm schlang er um die Sprossen, während er einen Fuß langsam hochzog.
»Kommen Sie noch nicht an Bord!«
Colley konnte im Dunkeln das Gesicht des Kapitäns nicht sehen, nur der von Alkohol schwere Atem schlug ihm entgegen.
»Bleiben Sie jetzt ruhig eine Minute stehen, wo Sie sind!«
»Warum?« fragte Colley, indem er mit beiden Händen nach dem Geländer griff.
»Weil ich es Ihnen sage«, rief Eli Boß. »Es sind schon zu viele Menschen an Bord.«
Colley fühlte mehr als er sah, wie ein schwerer Schiffshaken niedersauste. Schnell duckte er sich, aber es war zu spät. Ein Schlag traf seinen Kopf, einen Augenblick verlor er die Besinnung – dann fiel er wie ein Stein in den Strom. Das kühle Wasser brachte ihn sofort wieder zu sich. Als er wild um sich schlug, berührte seine Hand eine nasse Kette, an die er sich in seiner Todesangst klammerte. Er fühlte, wie warmes Blut über sein Gesicht rann. Aber er biß die Zähne zusammen und zog sich langsam an der Kette in die Höhe. Die Anstrengung war ihm fast zu groß. Bei jeder schmerzenden Bewegung war er in Versuchung, sich loszulassen, um Ruhe und Frieden im Wasser zu finden. Rikisivi hatte das veranlaßt: das war sein alter Trick, um Zeugen verschwinden zu lassen. Eli Boß würde das niemals gewagt haben… Ein zäher Wille zum Leben erwachte wieder in ihm.
Er kletterte weiter nach oben, griff nach einem abgerissenen Draht und fühlte, daß er seine Hand verletzt hatte. Dann aber reichte er höher hinauf und faßte das Geländer. Mit einer letzten Kraftanstrengung erreichte er gerade noch das Hinterdeck, bevor er ohnmächtig zusammenbrach.
Das erzählte er Graham.
Graham Hallowell hörte ihm zu und war starr vor Schrecken.
»Hope Joyner ist hier? – Sie verfluchtes Schwein!«
»Verbergen Sie mich! Sie müssen mich verstecken!« Colleys Zähne schlugen vor Furcht und Kälte zusammen. Das weiße, blutbefleckte Gesicht war schrecklich anzusehen.
»Er wird mich töten…. und er wird auch Sie töten, Hallowell!«
Man hörte draußen auf dem Gang Schritte, und Graham überlegte schnell. Unter dem Bett war eine lange, verschließbare Truhe, die die ganze Länge der Bettstelle einnahm. Er untersuchte sie und fand sie leer. Der unglückliche Colley kroch hinein. Kaum war der Deckel wieder fest verschlossen, als Eli Boß in die Kabine trat.
»Haben Sie Ihren Koks mitgebracht?« fragte er und schaute dabei nach dem
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