063 - Die linke Hand des Satans
einzuholen.
Ich war ihr schon auf zehn Pferdelängen nahe gekommen, als sie sich im Sattel umdrehte. Sie mochte das Geräusch von Pferdehufen gehört haben. Jedenfalls drehte sie sich um. Unsere Blicke begegneten sich. Sie hielt an.
Alraune erwartete mich im Sattel. Als ich sie erreichte, sprang ich vom Pferd und rannte zu ihr. Sie streckte mir die Arme entgegen und ich hob sie herunter. Sie war leicht wie eine Feder und schön wie ein Engel.
Eine geraume Weile standen wir schweigend da, in inniger Umarmung. Die Welt blieb für mich stehen. Es gab keinen Mephisto, keine Freischützen, nicht die Sorgen um Faust - nur uns beide. Ich wollte etwas sagen, brachte aber nur ihren Namen über die Lippen.
„Alraune... "
Sie löste sich aus meiner Umarmung. Als ich ihr ins Gesicht blickte, erkanntes ich, daß sie noch viel gereifter wirkte, als bei unserer letzten Begegnung in Konstanz. Sie lernte schnell, beängstigend schnell. Und wenn sie eine Schülerin des schrecklichen Mephisto war...
„Was mußt du Furchtbares mitgemacht haben", sagte ich. „Aber vertraue mir, Alraune, dein Leid wird bald ein Ende haben. Am liebsten würde ich dich sofort mit mir nehmen."
„Das geht nicht, lieber Georg", sagte sie und zeigte mir ein bezauberndes Lächeln, das wohl voll Wehmut war. „Und du sollst dich nicht um mich sorgen. Mir ist nichts geschehen, und ich habe auch nichts zu befürchten. Es geht mir gut."
„Ja, weißt du denn, in wessen Händen du dein Schicksal gelegt hast?" fragte ich entsetzt.
„Seit der Burgherr in Konstanz seiner eigenen Magd die Hand abschlagen ließ, weiß ich es", antwortete sie. „Aber du darfst nicht glauben, daß ich ihm ausgeliefert bin. Ich bin nicht mehr das hilflose Geschöpf, das du auf der Überfahrt nach Spanien kennengelernt hast, Georg. Ich - ich habe mich inzwischen selbst erkannt und weiß, daß ich viele Dinge tun kann, die anderen - versagt sind." „Hat der Burgherr dich gelehrt, dich selbst zu erkennen?"
„Du darfst nicht glauben, daß ich seinem Einfluß erlegen bin", sagte sie.
„Im Gegenteil - ich weiß nun, wie man ihn behandeln muß. Und ich habe ihm nicht erst einmal meinen Willen aufgezwungen. Ich kann nicht glauben, daß er absolut schlecht ist, sondern habe Hoffnung, ihn zum Guten zu bekehren. Du solltest Mephisto kennenlernen, Georg. Er kann amüsant und charmant sein - und er ist sehr gescheit."
Ich wich zurück.
„Du willst mich auf die Burg locken?" fragte ich erschrocken. „Alraune, das wäre mein Tod. Ich glaube, du hast die wahre Natur des Mephisto doch nicht erkannt."
„Aber sicher", erklärte sie. „Er ist grausam und rachsüchtig, gefällt sich darin, Seelenhandel mit den Menschen zu treiben und sie ins Unglück zu stürzen.. Er ist ein Dämon, der niemanden fürchtet - außer noch mächtigeren Dämonen. Du siehst, das alles weiß ich. Oder gäbe es etwas noch Schlimmeres über ihn zu sagen?"
Ich schüttelte benommen den Kopf. Alraunes Logik war für mich nur schwer verständlich. wie konnte sie glauben, Mephisto zum Guten zu bekehren, wenn sie über seine. Schandtaten Bescheid wußte? Ein Dämon blieb ein Dämon. War Alraune so naiv, oder hatte Mephisto sie bereits dermaßen vergiftet, daß sie, ohne es zu wissen, bereits sein, Werkzeug geworden war? So wäre ihre seltsame Einstellung zu dem grausamen Dämon zu erklären gewesen.
Aber es gab auch noch eine andere Erklärung. Alraune durfte nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen werden. Ich hatte gesehen, wie sie Menschen das Leben ausgesaugt hatte, um sich auf diese Weise zu ernähren. Dabei war sie sich der Ruchlosigkeit ihres Tuns gar nicht bewußt geworden. Damals hatte sie zwischen Gut und Böse nicht unterscheiden können. Nach menschlichem Gesetz war sie eine Mörderin, eine Hexe, ein Dämon. Aber ich verurteilte sie deshalb nicht. Ich wußte, daß sie, wenn sie die Gesetze des Lebens erst begriff, zu einem vollwertigen, einem guten Menschen werden konnte.
Dämon blieb also doch nicht Dämon. Alraune war noch zu retten. Sie war keineswegs verloren, obwohl sie schon' so lange dem Einfluß Mephistos ausgesetzt gewesen war.
„Trotzdem, Alraune", sagte ich, „wäre es besser für dich, wenn du mit mir fliehen würdest. Gehen wir fort von hier!"
„Wohin?" fragte sie. „Mephisto würde uns überall finden. Er ist mächtig. Nein, Georg, ich muß zu Ende führen, was ich begonnen. Ich brauche dieses Kräftemessen mit diesem Dämon, um mich zu bestätigen."
„Und wenn du
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