0631 - Die Bluteulen
jedenfalls hatte sie sich noch nicht gezeigt.
Ob die Umgebung dichter oder weniger dicht geworden war, bekamen wir nicht mit. Jedenfalls huschte der Lichtstrahl wie ein gespenstischer Finger durch die Finsternis, erfasste die dicken Stämme, stach hinein in das Unterholz, suchte Lücken und zielte manchmal hinein in die kleinen Öffnungen und Höhlen, die sich auftaten.
Und wir hörten die Stimme. Die Frau musste durch den Schein aufmerksam geworden sein, denn uns wehte ihr Flüstern entgegen. »Bitte, wer sind Sie?«
Suko blieb stehen, und ich stoppte dicht hinter ihm. Er drehte den Kopf zu mir um, gab mir ein Zeichen mit den Augen und nickte dann.
»Bettina Constanza?«, rief er leise.
»Ja…«
»Kommen Sie heraus! Wir haben Sie gesucht. Von uns haben Sie nichts zu befürchten.«
»Wer - wer sind Sie denn?« Ihr Misstrauen war verständlich.
»Wir kämpfen gegen die Strigen. Die Bluteulen sind unsere Feinde, Bettina.«
Eine kurze Pause des Schweigens entstand, bis wir das Rascheln und Knacken hörten. Die Geräusche entstanden, als sich Bettina Constanza aus ihrer Deckung hervorschob.
Suko wollte sie nicht erschrecken und leuchtete sie deshalb nicht direkt an.
Sie schien auf allen Vieren direkt aus dem Erdboden zu kriechen. Ihr Gesicht zeigte eine gewisse Anspannung, Furcht und auch Erleichterung. Zum ersten Mal sahen wir sie. Ich schätzte sie knapp über zwanzig, eine junge Frau mit dunklen Haaren, hübscher Figur und nettem Gesicht, ein normaler Typ eben.
Sie schaute sich ängstlich um, sah uns dabei nicht an, sondern durchsuchte die Umgebung.
»Keine Sorge«, beruhigte Suko sie. »Die Strigen werden Sie nicht angreifen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Und wenn, werden wir uns zu wehren wissen.«
Sie strich über ihre Hosenbeine. »Sie sind keine Deutschen, nicht wahr?«
»So ist es.« Suko stellte mich und sich vor. Auf dem Gesicht malte sich Erleichterung ab.
»Und ich dachte schon, dass dieser Hausmeister Sie geschickt hätte, um mich einzufangen. Da sind Regeln aufgestellt, die ich als unwürdig für Menschen ansehe.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte ich, »wir kennen ihn nämlich und haben einige Takte mit ihm gesprochen.«
Bettina lachte. »Dann wissen Sie ja Bescheid. Aber er weiß nichts von den Eulen. Es ist furchtbar. Ich habe sie gesehen, sie haben sich zu einem Angriff formiert.«
»Wo?«
Bettina deutete nach rechts. »Da müssen Sie lange laufen, um den Platz zu erreichen. Ich weiß nicht, ob sie es geschafft hat, die Bluteulen aufzuhalten…«
»Wer ist Sie?«, fragte Suko zwischen.
»Eine Frau. Shao - sie…«
»Was?« Suko fasste Bettina an beide Schultern, sodass sie erschrak. »Bitte…«
»Lass sie doch mal reden, Alter!«
»Sorry.« Suko trat wieder zurück. »Aber Shao und ich gehören eigentlich zusammen.«
Bettina nickte uns entgegen. »Dann sind Sie auch die beiden Männer, von denen sie gesprochen hat. Sie hoffte nämlich, dass Sie den Ort gefunden haben.«
»Genau.«
Die junge Frau gab sich erleichtert. Erst jetzt war das Eis zwischen uns gebrochen, und sie begann mit einem spannenden Bericht, der uns allerdings nicht viel schlauer machte, weil wir den Ursachen dieser magischen Verseuchung um keinen Schritt näher gekommen waren. Aber wir mussten ein Motiv finden.
»Weshalb Sie?«, fragte Suko.
Bettina hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht hängt es tatsächlich mit mir zusammen, weil ich schon in Rumänien eine besondere Beziehung zu den Eulen gehabt habe. Ich - ich liebte die Tiere. Ich kam mit ihnen zurecht. Ich will nicht gerade behaupten, dass ich mit ihnen sprechen konnte, aber ich habe mich auf irgendeine Art und Weise mit ihnen verständigen können. Mir schien es, als gäbe es zwischen uns ein Band. Ich konnte fühlen wie sie. Deshalb werden sie mich ausgesucht haben. Oder etwa nicht?«
»Keine Ahnung«, murmelte ich.
»Haben Sie jemals den Namen Tengu gehört?«, fragte Suko.
»Ja, erst vor kurzem.«
»Ist es Zufall, dass Sie gerade in dieses Lager oder die Herberge hier gekommen sind?«
Bettina überlegte. »Das kann sein, aber ich will daran nicht glauben. Da muss das Schicksal schon seine Hand mit im Spiel gehabt haben, glaube ich.«
»Erzählen Sie.«
»Ich wollte jedenfalls aus meinem Heimatland fliehen. Nach der Revolution wurde es kaum besser. Ich sah keine Chancen und kam über Österreich in die Bundesrepublik.« Sie senkte den Kopf. »Es ist komisch, aber ich wusste plötzlich, dass ich hier richtig war, denn ich
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