0631 - Die Bluteulen
wie Pudding, und dennoch knackte es, als sich der Druck des Fußes verstärkte. Auch die letzten Reste der Eule zerbröselten zu Staub.
Für einen Moment schloss Shao die Augen. Sie freute sich nicht über ihren Sieg. Nur den Pfeil nahm sie an sich und ließ ihn im Köcher verschwinden.
Eine hatte sie erledigen können. Fragte sich nur, welches Ziel die anderen Strigen hatten.
Im Prinzip ging es um Bettina Constanza, aber es ging auch um mehr. Shao hatte nicht grundlos das Reich der Sonnengöttin verlassen, denn der Tengu war unterwegs.
Ihn musste sie stoppen! Jeder wusste, was es bedeutete, wenn ein Tengu frei kam und sich auf die Menschen stürzte.
Er war kaum zu bremsen, über Waffen lachte er, und er suchte sich unter anderem gern den Körper eines Vogels aus, denn auch sein Ursprung war ähnlich.
Der Tengu war in diese Gegend gekommen, weil hier ein gewaltiges Strigen-Grab existierte. Wobei die Strigen nicht normal verendet waren, sie hatten nur auf ihre Zeit gelauert, um sich wieder zeigen zu können. Tief im Innern des Waldes waren sie verborgen gewesen, in geheimnisvollen Verstecken und Gräbern, doch eine Bettina Constanza hatte sie befreien können und sie dem Tengu zugespielt, der ihre Führung übernehmen würde. Der Tengu war also dort zu finden, wo sich Bettina aufhielt.
Shao ging davon aus, dass John Sinclair und Suko ihrem Tipp gefolgt waren. Ihrer Rechnung nach mussten sie bereits die Herberge erreicht haben, um dort auf Bettina zu warten.
Dieser Bau war auch Shaos Ziel. Sie musste einfach in der Nähe der jungen Frau bleiben, die, ohne es zu wollen, einen Lockvogel spielte. Die Chinesin kannte den Weg zum Ziel, auch ohne dass sie sich durch den dichten Wald schlagen musste. Sie würde die dunkle Insel an einer Seite umrunden und auf den Weg treffen, der vom Tal her zur Jugendherberge führte.
Das alles war leicht, kein Problem, aber sie blieb vorsichtig. Shaos Sinne zeigten sich geschärft. Die Zeiten im Reich der Sonnenkönigin waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen.
Wer sie als maskierte Person sah, bekam im ersten Augenblick einen Schreck. Auch jetzt wirkte sie wie ein furchterregendes Geschöpf, als sie durch die Finsternis schritt und dabei sehr genau Acht gab, ob sich irgendwelche Strigen blicken ließen.
Noch tat sich nichts. Nur der Wind wehte über die Höhen hinweg, fiel auch hinein in den Wald, wo er mit den Zweigen der Bäume spielte und sie zu einer zitternden Kulisse machte.
Aber der Wind nahm zu, obwohl Shao nichts davon merkte. Rechts von ihr lag der dunkle Wald.
Aus ihm hervor drang dieses unheimliche Geräusch, das sich zusammensetzte aus einem Brausen und Brechen, als würde ein Panzer durch den Wald rollen.
Shao war nicht mehr weitergegangen. Das Geräusch war nicht normal. Etwas hatte sich innerhalb des Waldes festgesetzt und tobte dort herum. Die mächtigen Baumäste zitterten, als wären sie permanenten Schlägen ausgesetzt. Viele von ihnen brachen knackend ab. Zweige wischten durch die Luft, als sie abgerissen wurden.
Aus dem Unterholz vernahm Shao schmatzende und stöhnende Laute, als es durch die unheimliche Kraft in Bewegung geraten war.
Der Tengu?
Shao konnte sich keine andere Lösung vorstellen. Allerdings war dies auch schwer zu glauben, denn eine Eule konnte nicht die Kraft haben, um einen Wald zu durchpflügen.
Was war mit ihm geschehen?
Sie zog sich noch mehr zurück, weil einige Bäume gefährlich schwankten und so aussahen, als würden sie im nächsten Moment auf sie stürzen und unter sich begraben.
Wie ein Irrwisch oder wütender Geist durchraste der Unbekannte den Wald, als würde er etwas suchen, und Shao konnte zudem seinen Weg genau verfolgen.
Wenn er ihn fortsetzte, musste er sehr bald schon den Wald verlassen und die Herberge erreicht haben.
Die Chinesin wusste nicht genau, wie viele Menschen man dort untergebracht hatte. Zu viele, was den Platz anging, aber für einen Tengu waren sie ideale Beute.
Er zeigte sich nicht, blieb zwischen Bäumen, Unterholz und Büschen verborgen. Manchmal nur schleuderte das Böse Zweige und Äste aus dem Wald hervor wie jemand, der aß und die Knochen nicht mehr haben wollte. Ein widerliches Bild.
Aber es zeigte genau, mit welch einer Kraft der Tengu ausgestattet war. Es lag auf der Hand, dass er sich verändert hatte. Eine Eule allein konnte so etwas nichts schaffen, und Shao dachte mit Schrecken daran, welches Monster ihr wohl entgegenkommen würde.
Sie sah es, und sie sah es nicht.
Plötzlich
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