0633 - Wenn Druidenseelen trauern
gleichzeitig den Mund. »Ich halte Sie für eine Frau, die genau weiß, was sie tut.«
»Echt?«
»So echt wie eine der Kugeln, die Sie abgeschossen haben.«
»Ich glaube Ihnen.«
»Danke.« Tief holte ich Luft. »Leider war ich im Bad und muss Ihnen wieder Fragen stellen.«
»Ja, ja, ich weiß. Aber keine Sorge, John, ich drehe nicht durch, ich habe auch nicht gesponnen. Das Gespenst oder der Geist tauchte vor mir auf und erklärte mir, dass er mich unbedingt zurück in die Heimat holen will.«
»Auf die Ile de Sein?«
»Richtig. Dorthin, wo ich herkomme.«
»Wie sprach er denn?«
Sie lehnte sich zurück. »Haben Sie schon mal einem Windstoß gelauscht, John?«
»Des Öfteren.«
»So klang seine Stimme. Wie ein Windstoß, der langsam ausläuft, denn ich hörte ihn zudem noch jammern, als stünde dieser Geist unter Stress.«
Ich nickte, legte die Handflächen zusammen und fragte: »Können Sie sich denn vorstellen, was Sie auf dieser komischen Insel sollen? Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«
»Die Insel ist meine Heimat.«
»Sorry, es ändert nichts an meiner Frage.«
»Ich weiß auch nicht, was das soll, John. Das musst du mir glauben. Mir kommt es schon so vor, als gäbe es Kräfte, die es mir übel nehmen, dass ich die Ile de Sein verlassen habe, um in Rennes eine Ausbildung zu machen und einmal bei euch reinzuschauen.«
»Haben Sie eine bestimmte Ahnung von dem, was das für Kräfte sind?«
Colette strich durch ihre Haare und verzog die Nase, um die herum zahlreiche Sommersprossen wuchsen. »Keine Ahnung, aber ich will ehrlich sein, diese Insel hat natürlich eine Vergangenheit, und sie gehört zu dem Teil, wo die Bretagne am wildesten ist. Noch heute erzählt man sich die Geschichten von Heiligen und Dämonen, von Götzen und Druiden, aber das habe ich schon alles gesagt.«
»Glauben Sie daran?«
Colette lachte. »Nein, ich nicht, das heißt, ich bin mir nicht mehr so sicher. Meine Großeltern sehen das natürlich anders. Sie haben andere Zeiten erlebt, sagen sie.«
»Wollen Sie mir die Erscheinung nicht beschreiben, Colette?«
»Schon wieder?«
»Vielleicht hat sie sich verändert.«
»Nein, auf keinen Fall. Sie schimmerte graugrün bis bleich. Ich sah keinen richtigen Kopf, nur ein Schemen, kein Gesicht, und Worte wehten mir wie ein Flüstern entgegen oder ein gewisses Raunen und Wispern. Diese Erscheinung will einfach, dass ich zurückkehre auf die Insel.«
»Den Grund hat sie wieder nicht gesagt?«
»Nein.« Sie räusperte sich. »Eines kann ich Ihnen versprechen, John, ich werde nicht mehr auf sie schießen, wenn sie noch einmal auftaucht. Dann stelle ich lieber Fragen.«
»Ist auch nicht schlecht«, gab ich lächelnd zurück.
Colette Ingram stand auf. »Es wird Zeit, dass ich mich umziehe. Warten Sie noch?«
»Sicher.«
Als sie schon an der Tür zum Schlafzimmer war und diese aufgestoßen hatte, rief ich ihr noch nach:
»Denken Sie daran, sich die Zähne zu putzen, sonst riecht man die Fahne.«
»Merci, aber ich fahre ja nicht.«
Ich streckte die Beine aus. Wo dieser Fall hinführen sollte und welche Motive es dabei gab, wusste ich auch nicht. Da konnte ich nur raten. Etwas hatte mich schon misstrauisch gemacht. Wenn Colette von ihrer Heimat und deren Geschichte sprach, vergaß sie nie, die Druiden zu erwähnen. Ich hatte mir das sehr gut gemerkt und darüber sinniert, ob dieser Geist möglicherweise etwas mit den alten Druiden zu tun haben könnte.
Dass es Druiden gab, dass ihre Magie nach wie vor Bestand hatte, war mir bekannt, da brauchte ich nur an Aibon, an das Land zwischen den Welten, zu denken, an eine grüne Insel im Jenseits, ein Paradies für Druiden. War es tatsächlich ein sehr weiter Sprung von Aibon hinüber zu der Ile de Sein oder reichte die Distanz aus, um eine Brücke bauen zu können? Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Lösung des Problems nicht hier in London finden zu können. Die Ile de Sein war meiner Meinung nach ein Fixpunkt in diesem rätselhaften Fall.
Natürlich ärgerte ich mich darüber, dass ich die Erscheinung nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Gern hätte ich versucht, sie zu bannen, war allerdings davon überzeugt, dass dies nicht so ohne weiteres zu schaffen gewesen wäre.
Colette musste in der Nacht Dienst machen. Das gefiel mir nicht. Ich hatte vorgeschlagen, an ihrer Seite zu bleiben. Nach reiflicher Überlegung hatte sie abgelehnt, sie wollte den Job ohne meine Hilfe durchziehen und sich auch nicht von der Erscheinung
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