0636 - Der dunkle Lord
Verwirrung.
»Du bist nicht Zamorra«, erklang die Stimme des Lords.
Hatte er keine optische Kontrolle?
Immerhin hatte er bisher Zamorra angesprochen, ungeachtet dessen, daß Nicole vor der Druidin stand.
»Ich bin Nicole Duval!« sagte sie.
»Ah, ich erkenne deine Stimme. Nun, es spielt keine Rolle. Auch du wirst meiner Macht unterliegen. Dich will ich als Dienerin, aber Zamorra will ich vernichten. Er soll zu mir kommen. Sage es ihm. Meine Geduld ist begrenzt. Ich habe lange gewartet, ich warte nicht länger. Sagen wir -jede Viertelstunde des Zögerns kostet diesen Körper ein Stückchen seiner Substanz.«
Teri hob die verletzte Hand.
»Überlege«, sprach der Lord durch ihren Mund weiter. »Überlege, wie schnell es zu spät sein kann! Zamorra soll zu mir kommen und sich mir unterwerfen.«
»Und wo findet er dich?« stieß Nicole hervor. »Warum kommst nicht du hierher?«
»Weil ich die Macht habe, die Bedingungen zu stellen.« Wieder lachte der Puppengesichtige.
Im nächsten Moment war Teri Rheken verschwunden. Gerade so, als habe sie einen zeitlosen Sprung durchgeführt. Aber das war nicht geschehen. Die dafür nötige körperliche Bewegung hatte gefehlt.
Der Lord hatte nur die Projektion gelöscht…
Aber etwas war zurückgeblieben.
Der Finger…
***
Teri fühlte sich schwach. Etwas von ihr war gestorben.
Eines ihrer Drittel war in sie zurückgekehrt. Aber das andere existierte nicht mehr. Es hatte sich aufgelöst.
Auch der Schmerz in ihrer Hand, der ihren gesamten Körper ausfüllte, hatte um ein Drittel nachgelassen.
Aber er war immer noch furchtbar, und sie fand auch immer noch keine Möglichkeit, die Blutung zu stillen. Wenn das Blut nicht bald gerann und die Wunden verschloß, würde das über kurz oder lang Teris Tod bedeuten.
Zumal sie nur noch zwei Drittel ihrer Widerstandskraft besaß, ihrer Substanz - wahrscheinlich auch ihrer Blutmenge…?
Den Lord kümmerte es nicht.
Er hatte ein anderes Problem.
Es verdroß ihn, daß er nicht zu Merlin hatte Vordringen können. Daß bereits das magische Abwehrfeld die Projektion aufgefangen und zerstört hatte. Er hatte seinerseits versucht, sie zu durchschlagen. Aber das hatte die Projektion noch schneller vernichtet.
Der Kampf war unentschieden ausgegangen.
Auch Teri wußte es.
Aber sie konnte nichts tun. Sie konnte nur abwarten, was der Lord als nächstes von ihr verlangte. Wozu würde er sie gleich zwingen, in seinem Zorn?
Sie wollte weinen und konnte es nicht.
Sie konnte nicht einmal daran denken, gegen ihn zu kämpfen.
Und sie konnte nicht einmal - ohne seine Erlaubnis sterben, um der Qual ein Ende zu machen…
Selbst darüber hatte er die alleinige Macht…
Und Teri hatte Angst.
Davor, daß es noch schlimmer wurde…
***
»Das ist unmöglich«, murmelte Raffael Bois hinter Nicole. »Wie stellt er sich das vor? Zamorra ist paralysiert. Selbst wenn er wollte, könnte er gar nicht zu ihm gehen. Zu dem Lord, meine ich. Es kann Stunden dauern, bis er wieder erwacht…«
Nicole fror immer noch. Stunden…
Sie dachte an das, was der Dunkle Lord gesagt hatte. Jede Viertelstunde des Zögerns…
Teri würde sterben.
Das war sicher.
Denn der Lord hatte auch nicht gesagt, wohin Zamorra kommen sollte. Er hatte Nicoles Frage nicht beantwortet!
Sie haßte ihn.
Sie haßte ihn mehr denn je. Damals war es schon schlimm gewesen, als sie in die Vergangenheit gerissen wurde, als sie in dem Bernsteinsarg gelegen hatte, in temporaler Stasis… Gefangene dieses Ungeheuers! Aber jetzt -war alles noch viel schlimmer.
Der Lord besaß eine Macht, wie Nicole sie sich noch nie hatte vorstellen können.
Sie hatte doch geglaubt, er sei tot!
Aber er existierte immer noch. Er hatte sich nur aus Lamyron zurückgezogen, das war alles. In jenem Moment, als Corinne den besessenen Propheten gerammt hatte, war der Lord aus ihm geschwunden.
Er hatte sich in Sicherheit gebracht.
Und jetzt hielt er alle Trümpfe in der Hand! Er war jetzt schon der Sieger in diesem grausamen Spiel. Denn dadurch, daß Merlin nicht erreichbar war, seinerseits das Ultimatum nicht erfüllen konnte, war bereits alles verloren. Nicole war sicher, daß Merlin eine gleichlautende Forderung überbracht worden war. Warum sollte der Dunkle Lord sich anders verhalten? Sie waren doch beide seine Feinde - der Zauberer von Avalon und der Meister des Übersinnlichen.
Vielleicht hätte sie Zamorra doch nicht paralysieren sollen. Wäre er aktiv, gäbe es vielleicht eine Chance, Teris Tod
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