0639 - Merlins Zauberwald
Geruch lag in der Luft. Er stammte keinesfalls von der Glutasche. Es war eine Art Rauch, wie Yaga ihn nie zuvor wahrgenommen hatte.
Sollte der rauchige Don hier gewesen sein? Hatte sich die Flugfrucht mit ihm unterhalten?
Aber nun waren sie beide fort.
Nur noch die Asche existierte.
Und mit ihr geschah etwas.
Sie begann aufzuwallen, zu quellen, und etwas wuchs aus ihr hervor, begann Gestalt anzunehmen. Ragte empor, breitete Schwingen aus, einen Kopf mit klugen Augen. Ein wildes Lachen erklang.
Aus der Asche war ein Phönix entstanden!
Unwillkürlich wich Yaga zurück. Sie war nicht sicher, was sie von dieser Erscheinung halten sollte.
Der Phönix - nein, die Phönix, korrigierte Yaga sich. Deutlich erkannte sie, es mit einem weiblichen Exemplar zu tun zu haben. Die Phönix schüttelte das Gefieder und lachte erneut auf. »Wer bist du, daß du vor mir erstaunt zurückweichst? Erlebtest du nie ein Wesen wie mich? Du bist eine Hexe, du bist sehr alt, du mußt viel gesehen haben, auch Geschöpfe meiner Art! Erzähl mir von ihnen!«
»Dich kann es nicht geben«, sagte Yaga heiser. »Du bist aus der Kohle meines Ofens entstanden! Das ist unmöglich.«
»Nun ist es nicht mehr deine Kohle«, sagte die Phönix. »Nun ist es meine Asche. Finde dich damit ab.«
»Trotzdem existierst du nicht. Es gibt dich nicht. Ich werde dich ignorieren.«
»Du würdest mir zu gern ein Mauerblümchendasein gönnen, wie?« Die Phönix kicherte. »Den Gefallen tue ich dir nicht. Ich bin dein Alptraum.«
Yaga schnippte mit den Fingern. »Wenn ich erwache, gibt es meinen Alptraum nicht mehr. Schon mal daran gedacht?«
»In Broceliande spielt Denken keine Rolle. Fühlen muß jeder. Und du kannst mich nicht entfernen, indem du denkst. Aber wie würdest du mich fühlen wollen?«
»Was willst du von mir?« fragte Yaga.
»Dich aufhalten.«
Die Hexe lachte auf. »Närrische Kreatur«, stieß sie hervor. »Was glaubst du, wer du bist? Du bist aus der Asche meiner Kohle entstanden. Also bist du mein Geschöpf. Wie willst du mich da aufhalten können? Geh mir aus dem Weg. Ich befehle es dir.«
Die Phönix kicherte wieder.
»Bedenke, daß ich dann hinter dir sein werde, wenn ich nicht mehr vor dir sein kann. Ist dir das lieber? Für dich bin ich Feuer und Flamme!«
Das Wesen loderte auf, geriet von einem Augenblick zum anderen in Brand. Brennend raste es auf Baba Yaga zu. Die Hexe konnte im allerletzten Moment vor dem Zusammenprall einen Schutzzauber weben, in dem sich das fliegende Feuerfanal verfing. Die Phönix tobte im magischen Netz, brannte grell und zerfiel langsam zu Asche.
»Ich bin gespannt, wie du dein nächstes Leben gestaltest«, murmelte Yaga. »Wenn du dich wieder gegen mich stellst, wird es wohl ähnlich kurz sein…«
Sie kehrte zum Ofen zurück, saß auf und ritt weiter, an dem rauchenden Aschehaufen vorbei, der vor einer Minute noch die Phönix gewesen war.
Kaum war Yaga außer Sichtweite, als die Phönix sich abermals aus der Asche erhob…
***
Übergangslos öffnete Merlin die Augen.
»He, was war los?« fragte Gryf. »Du warst ganz schön lange weggetreten.«
Merlin nickte.
»Du hast gefragt, wie ich mir euer Vorgehen gedacht habe«, sagte er, ohne auf seinen Zustand einzugehen. »Es liegt an euch. Findet Baba Yaga und bringt sie dazu, den Zauberwald zu verlassen.«
»Was ist dir daran so wichtig?« fragte Ted Ewigk.
»Sie ist im Begriff, etwas zu tun, das ich nicht gutheißen kann - das niemand gutheißen kann«, behauptete Merlin. »Ich wollte nie, daß sie Broceliande betritt, aber ich wurde gezwungen, es ihr zu gewähren.«
»Wenn ich mich nicht irre, dann lebt in deinem Wald eine sehr starke Magie«, sagte Teri. »Eine Magie, die jeden unbefugten Eindringling bekämpft. Selbst wir hatten anfangs unsere Schwierigkeiten, obgleich wir von dir autorisiert waren.«
Dabei sah sie Gryf an.
Der nickte.
»Es dauert eine Weile, bis der Wald einen Besucher wirklich akzeptiert -einen, der vorher noch nie da war.«
Ted schwieg. Warum sollte er etwas dazu sagen, was allen anderen ohnehin bekannt war?
Deshalb konnte Merlin auch nur Personen bitten, die schon einmal im Zauberwald gewesen waren. Alle anderen würden Schwierigkeiten bekommen. Teds Erlebnis lag lange zurück, sehr lange, aber er wußte, daß auch ein Mann wie Zamorra in Schwierigkeiten geraten würde.
»Der Wald wird Baba Yaga bekämpfen«, sagte Teri derweil. »Merlin, wäre es nicht das einfachste, abzuwarten, was dabei herauskommt? Wenn du
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