0639 - Merlins Zauberwald
zerteilen konnte, und eine lederne Flasche mit leichtem Wein.
Mit einem bronzenen Krug schöpfte sie etwas Wasser aus dem Bach und füllte dann ein wenig von dem Wein hinzu, nahm ein paar kleine Schlucke.
Hinter ihr trat eine dunkle Gestalt aus dem Dickicht des Waldes hervor. Ein großer Mann, dessen Kopf von einem mächtigen Hirschgeweih geziert wurde. Er war nackt wie sie.
Er näherte sich der Blonden und setzte sich zu ihr. »Gibst du mir auch einen Schluck?«
Sie drückte ihm den Bronzekrug in die Hand. »Du willst doch nicht nur etwas trinken.«
»Doch…«
Eva verdrehte die Augen. »Gib es doch endlich auf, Doe«, seufzte sie. »Du bekommst mich nicht. Ich bin noch viel zu jung für dich. Du bekommst Ärger mit meinem Vater, wenn du mich nicht in Ruhe läßt.«
»Ich bringe es einfach nicht fertig, dich in Ruhe zu lassen«, sagte er mit einer tieftönenden Stimme, die irgendwie nicht so recht zu ihm zu passen schien. »Du bist nicht zu jung, ganz bestimmt nicht. Du bist so unglaublich schön. Ich möchte dich glücklich machen.«
»Das kannst du nie«, erwiderte Eva. »Geh wieder, ehe mein Vater dich hier sieht. Er dreht dir den Hals um.«
»In Broceliande tötet niemand einen anderen«, sagte der Mann mit dem Hirschgeweih. »Und schon gar nicht dein Vater.«
Eva erhob sich, nahm ihr Kleid auf und streifte es sich über. »Jetzt bin ich nicht mehr so unglaublich schön, daß du mich glücklich machen möchtest.«
»Doch«, widersprach er. »Es ist nicht deine äußerliche Schönheit, die mich reizt, sondern deine innere.«
»Ich bin gefährlich für dich«, sagte sie. »Ich kann dir all deine Macht nehmen, mit nur einem Gedanken.«
»Du wirst es niemals tun. Du bist zu gut dafür«, sagte der Gehörnte.
Eva sah ihn ernst an. »Ich rate dir, probier's nie aus. Ich will dich nicht verletzen, Doe. Nicht so, nicht so unwiderruflich. Magie ist etwas Heiliges. Geh jetzt - bittel«
Er erhob sich und ging tatsächlich.
Merlin trat hinzu.
Eva starrte ihn überrascht an. Sie machte ein paar Schritte rückwärts und wäre dabei fast in den Bach gefallen. Sie konnte sich gerade noch fangen.
»Du spionierst mir doch wohl nicht nach?«
»Nein«, sagte er und strich ihr durch das Haar. Da war unwahrscheinlich viel Liebe und Zuneigung in ihm, die durch diese einfache Geste zu ihr floß. Sie lächelte ihn an.
»Ich bin zufällig hier«, sagte er. »Aber ich konnte nicht verhindern, euch beide zusammen zu sehen.«
»Es ist nichts zwischen uns«, sagte sie hastig.
»Das weiß ich.«
»Doe ist nett, aber ich mache mir nichts aus ihm«, sagte sie. »Er ist ein Junge… äh«, sie biß sich auf die Unterlippe. »Er ist ein Mann«, korrigierte sie sich. »Und zwar unübersehbar. Ich mag das nicht. Mädchen sind weicher und sanfter. Ich mag lieber Mädchen. Sie sind wie ich.«
Merlin lächelte etwas verloren.
»Gefällt dir das nicht?« fragte sie zögernd.
»Es ist deine Sache«, erwiderte er. »Aber ich möchte etwas von dir wissen. Seit wann ist dir bewußt, daß du anderen magischen Wesen gefährlich werden kannst?«
»Noch nicht lange«, sagte sie.
Ihre Augen, die eben noch vor Freude geglänzt hatten, zeigten plötzlich Trauer, wurden feucht. »Ich konnte nichts dafür«, sagte sie. »Es ist einfach geschehen. Doe sagte eben: In Broceliande tötet niemand einen anderen. Aber ich habe getötet. Ich wollte es nicht. Es war ein Troll. Er wollte… er wollte mir Gewalt antun. Und dann war da etwas in mir, das ihm all seine Magie nahm. Er starb einfach. Merlin, ich wollte das nicht. Wirklich… ich will nicht töten. Ein Leben auszulöschen, das ist schlimm. Wie soll ich das jemals wiedergutmachen? Der Troll ist tot, es gibt ihn nicht mehr. Merlin… beginnt jetzt das Zeitalter der Zerstörung in Broceliande?«
»Das Zeitalter der Zerstörung?« Merlin runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf? Es gibt kein Zeitalter der Zerstörung.«
»Wirklich nicht?«
»Wer sprach so zu dir?«
»Ein Traum«, sagte sie leise. »Ein böser Traum vom Sterben. Aber ich will nicht sterben, und ich will niemanden töten. Dennoch ist es geschehen. Durch meine Para-Gabe.«
»Du mußt lernen, sie zu kontrollieren. Dann kann das nicht wieder geschehen«, sagte er.
»Das - das… nein, Merlin!« stieß sie erschrocken hervor. »Das kannst du nicht verlangen! Ich kann nicht damit arbeiten! Das geht über meine Kraft! Merlin… wenn ich beginne, mit dieser unheimlichen Gabe zu arbeiten, kann es während des Lernens wieder
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