064 - Die Orgie der Teufel
tadelte der Clochard. „Überlegen Sie sich mal, wie lange Sie sich bereits in dem brennenden Aufzug befinden... Das kann kein Mensch überleben."
„Aber ich bin doch hier!" argumentierte Claire Douglas. „Kein Mensch kann an zwei Orten gleichzeitig sein. Und was die verstrichene Zeit betrifft... Unsere Uhren stehen still..." Sie unterbrach sich. „Na, warum führen Sie den Gedanken nicht zu Ende?" fragte Herbert Ohm. Als Claire Douglas nur den Kopf schüttelte, spann er selbst den Faden weiter. „Sie haben daran gedacht, daß mit den Uhren auch die Zeit stillstehen könnte, nicht wahr? Aber Ihr logisch geschulter Verstand Weigert sich, daran zu glauben. Dabei finde ich diese Folgerung gar nicht mal abwegig. Wir sollten den Gedanken weiterverfolgen." Claire Douglas schüttelte wieder den Kopf.
„Sie haben recht, Herbie, das ist zu abstrus für mich. Wenn wenigstens Dorian Hunter hier wäre! Er scheint für solche Phänomene besser vorbereitet zu sein."
Die anderen sahen einander an.
„Ja, wo ist er denn?" fragte Jakob Ehrlich.
„Mir ist seine Abwesenheit bis jetzt gar nicht aufgefallen", gestand Alain Gabin. „Ich dachte..." Der Clochard zuckte die Schultern.
„Wir müssen ihn suchen", verlangte Claire Douglas. „Er ist der einzige von uns, der mit dieser Situation fertig werden kann."
„Er ist sehr clever", sagte Jakob Ehrlich gedehnt. „Zu clever für meinen Geschmack."
„Was wollen Sie denn damit sagen, Jack?" fragte Herbert Ohm.
„Nun, uns ist doch allen aufgefallen, daß er sich mit dieser Situation abgefunden hat, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt", führte Jakob Ehrlich weiter aus. „Wir dagegen waren zutiefst schockiert und haben uns erst allmählich beruhigt. Hunter dagegen hat die Lage sofort erfaßt. Und noch etwas. Während wir alle gleichzeitig hierher verschlagen wurden, kam er verspätet an."
„Ich verstehe immer noch nicht, was Sie damit sagen wollen", sagte Herbert Ohm stirnrunzelnd. „Das ist doch nicht so schwer zu erraten. Hunter benimmt sich wie einer von der Gegenseite."
„Sie meinen - er ist ein Dämon?" fragte Laurence Wytton.
„Diesen Ausdruck hat Hunter selbst gebraucht", erwiderte Jakob Ehrlich. „Ein weiteres Indiz, das gegen ihn sprechen könnte."
„Sie sehen Gespenster, Jack", erwiderte Claire Douglas.
Der Antiquitätenhändler grinste sie vielsagend an, schwieg aber. Claire spürte, daß ihr eine leichte Röte ins Gesicht stieg, und senkte den Blick.
In die folgende Stille hinein erklangen Laufschritte. Dann tauchte Bhawa aus einem Seitentunnel auf.
„Ich habe einen Ausgang gefunden", berichtete er aufgeregt. „Die Höhle endet ganz, in der Nähe. Wir sind frei. Kommt!"
Er drehte sich um und lief den Weg zurück, den er gekommen war. Die anderen folgten ihm. „Wartet auf mich!" rief Laurence Wytton verzweifelt. Er konnte mit den anderen nicht Schritt halten.
Niemand schenkte ihm Beachtung.
Der Stollen erweiterte sich bald zu einer Höhle, in der es ziemlich dunkel war, weil hier keine Irrlichter herumschwirrten. Doch durch eine mannsgroße Öffnung fiel Tageslicht herein. Der Ausschnitt eines wolkenverhangenen Himmels war zu sehen.
Der Ausgang lag in vier Meter Höhe, war aber leicht über eine Geröllhalde zu erreichen.
„Gleich haben wir's geschafft!" rief Herbert Ohm.
Bhawa erreichte als erster die Öffnung und kletterte hindurch. Claire, Herbert, Jakob und Alain folgten ihm auf dem Fuß. Ihre euphorische Stimmung schlug aber sofort ins Gegenteil um, als sie sahen, wohin der Ausgang der Höhle führte.
Er mündete tatsächlich ins Freie, doch in eine Landschaft, die fremdartiger und unheimlicher war als das Innere der Höhle. Von ihrem erhöhten Standplatz aus hatten sie einen guten Überblick. „Felsen, Felsen, Felsen - wohin das Auge reicht", stellte Alain Gabin fest. „Das erinnert mich an einen riesigen Friedhof..."
„Ja, es sieht tatsächlich so aus wie ein Feld mit dicht aneinandergereihten Hünengräbern", bestätigte Herbert Ohm. „Es erinnert mich an das Megalithfeld von Carnac in der Bretagne. Dort stehen auf einer Länge von acht Kilometern dreitausend solcher behauenen Felsblöcke."
„Ich war auch dort", sagte Claire Douglas dumpf. „Nur sind die Megalithen von Carnac viel kleiner. Diese Megalithe und Menhire aber erreichen eine Höhe bis zu zehn Metern - und sie stehen viel dichter. Diese heidnische Kultstätte sieht aus wie ein riesiges Stonehenge, und sie dehnt sich aus, soweit das Auge reicht."
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