0643 - Das fliegende Grauen
Lampe nach unten hin angewinkelt. Der Lichtstreifen schnitt schräg durch das Fenster und traf ein Gewimmel von Menschenkörpern.
Ein anderer Ausdruck fiel mir für diese fürchterliche Szenerie nicht ein. Das war ein wahres Gewimmel aus Armen, Beinen und Körpern, das sich da über den Boden bewegte, ineinander verschlungen und verknotet war und es deshalb nicht schaffte, aus eigenen Kräften auf die Füße zu kommen.
Beide leuchteten wir in den Raum und bewegten dabei unsere Lampen von rechts nach links.
Es war einfach grauenhaft. Die Gesichter mit der bleichen, blutleeren Haut dürsteten nach frischem Lebenssaft. Mäuler standen weit offen, hell schimmerten die Vampirhauer. Arme streckten sich, Hände grapschten in Gesichter.
Eine schaurige Schar von blutsaugenden Bestien, die man allein gelassen hatte und die keine Möglichkeit hatte, an frisches Blut heranzukommen.
Eingesperrt bis zu dem Zeitpunkt X.
Wir konnten froh sein, sie rechtzeitig genug entdeckt zu haben.
Suko strich über sein Gesicht. »Mein lieber Schwan, das ist ein Ding. So etwas habe ich in all den Jahren noch nicht erlebt.«
Da hatte er Recht. Schon oft hatten wir gegen Vampire antreten müssen, aber so viele blutleere Wiedergänger hatten wir noch nie auf einmal zu Gesicht bekommen.
»Mallmann«, murmelte ich. Das Wort kam mir spontan über die Lippen.
»Was meinst du?«
»Ach nichts. Ich dachte an Will Mallmann. Wenn er das sehen würde, wäre es etwas für ihn.«
Suko drehte den Kopf zur Seite, um mich anschauen zu können. Seine Haut schimmerte im Restlicht der Lampe. »Du wirst lachen, John, und es nicht glauben, aber an Dracula II habe ich auch gedacht. Fast im selben Augenblick. Ich kann mir sogar vorstellen, dass er seine Klauen im Spiel hat.«
»Hier?«
»Sicher.«
Ich holte schnaufend durch die Nase Luft und atmete ebenso schnaufend wieder aus. »Verdammt, das wäre ein Hammer. Aber Mallmann…«
»… sucht ein neues Betätigungsfeld, John. Dieses Tal ist einsam, da kommt niemand hin. Auch die Entführung der beiden Frauen ergäbe meines Erachtens einen Sinn. Bisher haben wir vergeblich nach einem Motiv gesucht.«
Wir standen wieder im Dunkeln, hingen unseren Gedanken nach und hörten das Kratzen und Schlagen der Vampirhände, die innen über die Scheibe fuhren.
»Mallmann im Harem!« Ich stieß es lachend hervor und schüttelte den Kopf.
»John, möglich ist alles. Das wissen wir. Und man hat schon Pferde kotzen sehen - dicht vor der Apotheke.«
»Toller Vergleich.«
Ich nickte der Scheibe entgegen. »Andere Frage. Was machen wir mit dieser höllischen Brut?«
Suko hob die Schultern. »Meiner Ansicht nach sind sie hier gut aufgehoben.«
»Wie lange?«
»Befreien können sie sich wohl nicht. Sonst wären alle hier verloren.«
Ich schaute ihn skeptisch an. »Wer sagt dir denn, dass es die einzigen Vampire sind? Vielleicht ist das nur die stille Reserve. Ich möchte dafür nicht die Hand ins Feuer legen.«
»Wer sollte sonst noch…?«
»Denk mal an die Frauen, John. Sie hocken im Harem. Der Sultan hat sie ausgesucht. Unter anderem auch Jane und Glenda.« Er verstummte, weil er wusste, wie jeder von uns denken musste, denn die beiden als Blutsauger zu sehen ließ mein Herz schneller schlagen und es gleichzeitig in die Hose rutschen.
»Okay, das bist du also losgeworden. Hast du noch weitere Probleme oder Vorschläge?«
»Beides.«
»Dann lass deinen Vorschlag hören.«
Suko deutete gegen die Fenster. »Wir werden die Vampire in diesem Bau lassen, das ist sicherer. Sie können hier meinetwegen verfaulen, ist mir alles egal. Wir aber sollten uns auf die Suche nach Jane und Glenda machen.«
»Das tun wir schon die ganze Zeit.«
»Anscheinend falsch.«
Ich hob die Schultern. Irgendwas stimmte in dieser Nacht mit mir nicht. Ich hatte den Eindruck, ständig auf einem fremden Dampfer zu sein. Das ging alles in die Knochen. Ich fühlte mich müde und ausgelaugt. Selbst im Dunkeln übersah ich Sukos besorgten Blick nicht, mit dem er mich bedachte.
Er wollte etwas sagen, hatte schon angesetzt, als er herumfuhr.
Auch ich versteifte innerhalb eines Augenblicks, denn beide zugleich hatten wir diese peitschenden Geräusche gehört, die in einiger Entfernung aufgeklungen waren.
Nicht draußen, wenigstens nicht direkt, aber der Schall wehte aus einer bestimmten Richtung.
»Das waren Schüsse, John.«
»Ja, im Harem!«
»Okay, worauf wartest du noch!«
Wir liefen nur so lange zu Fuß, bis wir den Wildcat erreicht
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