065 - Der Geisterreiter
wissen.
„Die Hunnen sind gesichtet worden. Der Knecht hatte das kleine Mädchen bei sich und befindet sich auf dem Weg nach Mündt. Der Fürst hatte Ihre Freundin im Sattel und reitet wie der Leibhaftige in Richtung Buir.“
„Wo ist Buir?“ fragte Jürgen.
Sie erklärten es ihm. Während sie sich laut unterhielten, raste der Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern und heulender Sirene durch die Stadt. Die Straßen waren wie leergefegt, aber aus vielen Fenstern schauten die Menschen und sahen dem Wagen nach.
„Wohin fahren wir?“
„Dem Hunnen mit den drei Pferden hinterher. Er ist langsamer, und der Weg, auf dem er reitet, führt ebenfalls zum Weiler Buir.“
„Aber …“, rief Jürgen erregt und wandte sich an den Fahrer.
„Ich weiß, was Sie sagen wollen“, winkte der Beamte ab und jagte den Wagen mit aufkreischenden Reifen über den Marktplatz. „Die Gegend ist schon so gut wie abgesperrt!“
„Was kann ich tun? Kann ich irgendwie helfen?“ schrie Jürgen durch das Wimmern der mißhandelten Reifen.
„Im Augenblick nicht!“ sagte der Fahrer. „Vielleicht später. Können Sie gut schießen?“
„Mäßig!“
„Auch recht!“ knurrte einer der Beamten von den Rücksitzen.
Die rasende Fahrt ging weiter. In einer Serie halsbrecherischer Manöver, in denen sie langsamere Fahrzeuge des Grenzschutzes und einen vollen Mannschaftstransporter riskant überholten, jagten sie aus der Stadt hinaus. Jetzt begann die Problematik, denn sie sahen nichts außer dem Stück der Straße, da sie vom Licht der Scheinwerfer erfaßt wurde.
„Wie weit ist es noch?“
„Eigentlich müßte er dicht vor uns sein!“
Der Fahrer fuhr in hohem Tempo. Der Wagen schlingerte über den staubigen, aber überraschend ebenen Feldweg. Seine Scheinwerfer bestrichen ein schmales Stück rechts und links der Fahrbahn. Das Licht erfaßte Bäume und Sträucher, eine Hausruine, hohe Gräser und Strohschütten auf einem abgeernteten Feld. Eine Erntemaschine stand da, aber von einem Reiter mit zwei beladenen Packpferden war nichts zu sehen.
„Achtung!“ sagte Jürgen scharf und deutete schräg nach vorn. Dort ging soeben eine rote Leuchtkugel hoch.
„Sie haben ihn offenbar!“ knurrte der Fahrer und rammte das Gaspedal in den Boden. Der Wagen schaukelte, die Räder drehten durch, dann machte das Fahrzeug einen Satz und wurde schneller. Weit vor ihnen geisterten jetzt Scheinwerferstrahlen durch die Gegend, irrten ab, bewegten sich aufwärts, bestrichen das Land. Der Motor des Wagens arbeitete in den höchsten Drehzahlen. Wieder flammten Leuchtkugeln auf und Übergossen blendend weiß das Land mit einem zitternden, kalkigen Licht.
„Tatsächlich!“ sagte Jürgen. „Dort scheint etwas los zu sein.“
Nach einigen Kurven, die in leichtsinnig scharfem Tempo durchfahren wurden, kamen die Gebäude des Weilers in Sicht.
Plötzlich sahen die Männer zwei Pferde, sie standen mitten auf dem Weg.
Geistesgegenwärtig bremste der Fahrer, fuhr rechts über den Feldweg in eine Wiese, schleuderte herum und raste mit durchdrehenden Rädern, die Gras und Erdreich trommelnd und in zwei weiten Fontänen nach hinten schleuderten, wieder um die erschrocken angaloppierenden Pferde auf den Weg zurück. An den weißen Leuchtkugeln erkannten die Beamten, daß der Weiler fast vollständig umzingelt war. Viele Wagenscheinwerfer bildeten einen Wall aus runden, stechenden Lichtern um eine Scheune und ein langgestrecktes Stallgebäude. Ein Hund rannte wie verrückt hin und her und konzentrierte seine Angriffe auf das offene Scheunentor.
Einige Schüsse bellten auf.
Der Polizeiwagen hielt, setzte sich dann wieder in Bewegung und fuhr bis in die Mitte des Hofes. Im Wohnhaus waren sämtliche Lichter eingeschaltet, aber niemand traute sich ins Freie. Der Fahrer des Wagens richtete die Scheinwerfer so aus, daß sie in das Innere der Scheune leuchteten. Dann betätigte er den Schalter. Fernlicht flammte auf.
Gleichzeitig sprang ein großer, schwarzer Hund unbestimmbarer Rasse durch das Tor. Von innen blitzten zwei, drei Schüsse auf. Lange Flammenzungen leckten aus dem Dunkel der Scheune, die bis zu einer gewissen Höhe ausgeleuchtet wurde.
Der Hund jaulte auf und verharrte sekundenlang mitten im Sprung, als sei er gegen eine Mauer gerannt. Dann überschlug er sich nach hinten, zuckte noch ein paarmal mit den Läufen, wandte hilfesuchend den Kopf und blieb dann still liegen. Langsam breitete sich eine Blutlache um ihn aus, die größer und größer
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