065 - Rendezvous mit dem Sensenmann
Bäume und Blumen. Neben dem Haus lag ein großer Swimmingpool. Von der Hauswand aber blätterte Farbe ab, und an einigen Stellen war der Verputz schadhaft.
Der Garten wirkte zwar sehr gepflegt, aber man merkte, daß hier kein Gärtner die Regie führte.
Die Mädchen schlenderten unter den Bäumen hindurch. Coco und drei andere rauchten.
„Was sind denn das für Dinger dort?" fragte Coco und deutete auf eine Lichtung zwischen den Bäumen.
„Unsere Vogelscheuchen", antwortete Nadine, eine Französin. „Ihr werdet auch welche anfertigen müssen."
„Wozu denn das?" wollte Elise wissen.
„Die vier alten Schwestern wollen es so. Es ist eine Marotte von ihnen. Sie sagen, Monsieur Beaufort, dem die Villa gehört, hätte seine Freude an den Vogelscheuchen."
Die sieben Mädchen gingen zu den Vogelscheuchen hinüber. Coco überlief es kalt. Gespenstisch ragten die Vogelscheuchen im hellen Mond- und Sternenlicht empor. Eigentlich waren es gar keine Vogelscheuchen. Es handelte sich aus Pflanzen, Ästen, Blumen und Zweigen hergestellte puppenartige Figuren.
Ein Gestell bildete das Skelett. Die Köpfe trugen bunte Kopftücher in verschiedenen Farben.
Eine der Vogelscheuchen hatte sogar ein Gesicht. Auf Pappe waren Augen, Nase und Mund gemalt. „Das ist meine", sagte Arlette, die zweite Französin, ein kleines graziles Ding. „Sie ist schön. Madame Lucia und Madame Alma haben mich sehr gelobt."
Sie trat neben die Vogelscheuche. Im Mondlicht erschien ihr Gesicht leichenblaß. Von der Vogelscheuche schien etwas Bedrohliches auszugehen.
Coco war als Hexe mit magischen Künsten vertraut. Sie wußte, welches Unheil man mit Puppen anrichten konnte. Besonders dann, wenn diese Puppen mit etwas behangen waren, das einem bestimmten Menschen gehörte.
„Habt ihr für die Vogelscheuchen etwas von euren Sachen verwendet?" fragte Coco die fünf Mädchen, die sich schon länger in der Villa aufhielten. „Ein Tuch vielleicht?"
„Nein", antworteten die Mädchen überrascht. „Wozu sollte das gut sein?"
„Ach, ich dachte nur. Als eine Art Signatur, mit der Künstler ihre Werke versehen."
„Du machst Spaß, Coco. Das sind doch nur alberne Puppen. Komm, wir gehen ins Haus zurück. Es ist bald Zeit zum Schlafengehen. Monsieur Beaufort sorgt zwar für uns alle, aber auf seine Weise ist er ein recht strenger Mann. Um halb elf wird die Haustür geschlossen, und wenn um diese Zeit noch jemand draußen ist, kommt er nicht mehr ins Haus. Um elf Uhr geht das Licht aus. Und es kann einem passieren, daß man seine Sachen packen muß", erzählte die Engländerin Mary. „Außerdem werden keine Männerbesuche geduldet - kein Alkohol auf den Zimmern, kein Fernsehen und keine Illustrierten. Aber sonst leben wir hier herrlich. Das bißchen Küchen- und Gartenarbeit ist wirklich kaum der Rede wert, und die Arbeit an den Vogelscheuchen macht Spaß." Die Mädchen gingen plaudernd zum Haus zurück.
Coco blieb noch einen Moment am Rand der Lichtung stehen. Die fünf Vogelscheuchen befanden sich in allen Stadien der Fertigung.
Sie hatten keine gute Bewandtnis. Das spürte Coco.
Sie drehte sich um und sah, daß Arlette noch einmal zurückgekommen war. Auch das zierliche Mädchen starrte zu den Vogelscheuchen hinüber.
„Was ist, Arlette?"
„Lach mich jetzt nicht aus, Coco. Ich habe Angst. Meine Vogelscheuche ist fertig. Für mich hat sich etwas geändert. Ich bin nicht mehr so sorglos wie in der letzten Zeit. Drei Wochen war ich hier, und wenn ich es mir recht überlege, dann mußten alle Mädchen gehen, wenn ihre Vogelscheuchen fertig waren."
„Welche Mädchen? Wie viele?"
„Die Mädchen, die vor uns hier waren. Drei sind gegangen, seit ich in der Villa bin. Die letzte war Edna Bengtsson. Sie verließ die Villa vor fünf Tagen. Es wundert mich, daß sie mir keine Nachricht geschickt hat. Wir waren sehr gute Freundinnen. Aber vielleicht haben die vier Alten oder Monsieur Beaufort ihre Nachricht abgefangen oder mir nichts gesagt, daß sie angerufen hat."
Coco merkte sich den Namen Edna Bengtsson.
„Was ist mit Monsieur Beaufort?" wollte sie wissen. „Hast du ihn schon einmal gesehen, Arlette?" „Nur zweimal von weitem. Aber die vier alten Damen reden den ganzen Tag von ihm. Monsieur Beaufort hat dies gesagt, Monsieur Beaufort hat das gesagt. Monsieur wünscht das so. Das ist Monsieur sicher nicht recht. Monsieur fühlt sich heute ein wenig unpäßlich."
„Wie sieht er denn aus, von weitem?"
„Alt und klapprig und weißhaarig.
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