065 - Rendezvous mit dem Sensenmann
einsam und verlassen. Hier hatte ich mich mit Coco verabredet. Dieser markante Punkt, der in jedem Reiseführer erwähnt wurde, erschien uns für das erste Treffen geeignet, zumal er unweit von der Villa Daimon lag.
Mein Renault stand auf dem Parkplatz an der Küstenstraße. Ich hatte die Stelle zehn Minuten nach zwölf erreicht. Von Coco war noch nichts zu sehen. Ich rauchte eine Zigarette und wartete. Auch als ich die Kippe ausdrückte, war Coco noch nicht da.
„Wo bleibt sie denn nur?" brummte ich und sah auf die Uhr.
Da hörte ich einen gräßlichen Schrei zwischen den Hügeln landeinwärts. Ich sprang auf und rannte los.
Dem Schrei folgten weitere. Dann sah ich hinter einem Hügel ein Mädchen hervorrennen und in besinnungsloser Angst davonlaufen, zur Südspitze des Kaps.
„Hallo", schrie ich auf französisch. „Was ist los, Ma..."
Das Wort blieb mir im Hals stecken. Jetzt sah ich den Verfolger des Mädchens. Eine hochgewachsene Gestalt mit einem schwarzen Umhang. Sie trug goldene Handschuhe und schwang eine goldene, sensenähnliche Waffe mit einem geschwungenen Stiel.
Lautlos und mit erschreckender Schnelligkeit folgte sie dem flüchtenden Mädchen.
Ein paar Augenblicke war ich wie vom Donner gerührt. Aber dann eilte ich hinterher. Wer dieser Sensenmann auch sein mochte - jetzt hatte er mit Dorian Hunter zu rechnen.
Eine Waffe hatte ich nicht. Doch immerhin hatte ich eine Gnostische Gemme bei mir, mit der ich vielleicht etwas ausrichten konnte, wenn es ein Dämon oder ein Untoter war.
Ich rannte, so schnell ich konnte, und mein Herz begann zu hämmern. Doch das Mädchen lief in seiner Todesangst wie eine Gazelle. Ich konnte den Vorsprung nicht aufholen. Das Mädchen und bald darauf die schwarze Gestalt mit der goldenen Sense verschwanden im zerklüfteten Hügelgebiet.
Ich verlor sie aus den Augen. Dann hörte ich einen furchtbaren Schrei, der mir durch Mark und Bein ging. Jetzt hatte der Sensenmann sie eingeholt, anders konnte es nicht sein. Ich lief weiter.
Keuchend erreichte ich die Stelle, an der ich das Mädchen vermutete. Aber ich fand niemanden. Mädchen und Sensenmann waren wie vom Erdboden verschluckt.
Im Mondlicht hatte ich immerhin erkennen können, daß es sich nicht um Coco gehandelt hatte.
Ich suchte das ganze Gelände ab, doch ich fand weder den unheimlichen Häscher noch sein Opfer. Als ich schon aufgeben wollte, sah ich etwas im Mondlicht glänzen. Es war eine billige Damenarmbanduhr. Sicher war das Mädchen gestürzt und hatte sie verloren. Ich steckte sie ein.
Dann kehrte ich um. Beim Plateau de la Garoupe sah ich nun Coco. Ein Uhr war vorüber, und sie war aufgeregt und ungeduldig.
Ich zeigte ihr die Armbanduhr und berichtete, was ich erlebt hatte. Coco erbleichte.
„Es gibt keinen Zweifel. Das ist Arlettes Uhr."
Sie erzählte mir, wie Arlette des Diebstahls beschuldigt und davongejagt worden war. Sie erwähnte auch, was sie in der Villa Daimon erfahren hatte. Gern hätte ich mich ausführlicher mit ihr unterhalten, aber Coco hatte keine Zeit.
„Ich muß schnell zurück. Sonst merken die vier Alten, daß ich mich davongestohlen habe."
Ich zog Coco in meine Arme. Wir küßten uns, und sie drückte sich an mich. Aber bald schon machte sie sich frei.
„Jetzt muß ich gehen, Dorian."
Ich begleitete sie zur Villa. Ich wollte von nun an jede Nacht um zwölf in der Nähe der Villa auf sie warten, wenn ich nichts anderes von ihr hörte. Coco war aus dem Fenster gestiegen und an den dicken Ästen des wilden Weins, der an der Westmauer der Villa rankte, heruntergeklettert. Dann mußte sie noch eine Mauer überwinden.
Auf demselben Weg mußte sie wieder zurückkehren.
„Ich weiß nicht, ob ich zulassen soll, daß du wieder hineingehst", sagte ich, als wir an der Mauer standen.
„Sei nicht dumm, Dorian. Anders kommen wir nie hinter das Geheimnis des toten Magiers und seiner Villa. Außerdem kann ich mich im Notfall in einen schnelleren Zeitablauf versetzen, wie du weißt. Mach dir um mich keine Sorgen."
Sie stieg auf meine ineinander verschränkten Hände und auf meine Schultern und dann auf die Mauer.
„Kümmere dich um diesen Friedhofswärter, Adolphe Guiata", sagte sie noch, als sie auf der Mauer saß. „Er hat eine merkwürdige Ausstrahlung, und er weiß sicher eine Menge."
Dann sprang sie auf der anderen Seite von der Mauer herab. Ich wartete noch eine Weile, aber nichts regte sich. Dann ging ich zurück zur Höhe la Garoupe, wo mein Wagen auf dem Parkplatz
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