0657 - Der letzte Henker
MÄCHTIGE in Gestalt des Calusa Ma-
Chona blieb am Leben und fand eine Möglichkeit, die Gegenwart zu erreichen. Dort holte er neue Opfer. O’Cann, Bannard, Nicole. Vielleicht, um Rache zu üben, vielleicht einfach nur so. Er war es, der die Regenbogenblumen unsichtbar bleiben ließ. Er rechnete nicht damit, daß jemand den umgekehrten Weg benutzte und ihn in seiner Zeit aufspürte. Als er getötet wurde, wurde alles gelöscht, was er der Gegenwart antat - die Morde an O’Cann und Bannard hatten nicht stattgefunden.
»Und wieso nicht? Welche Logik steckt dahinter?«
Das, fand Nicole, mochte jeder Fragesteller für sich selbst überlegen. Sie selbst, Zamorra und alle anderen hatten darauf auch keine Antwort. Sie konnten nur vermuten.
Und was wäre geschehen, wenn sie nicht eingegriffen hätten?
Auch darüber gab es nur Vermutungen.
Sowie darüber, daß offenbar die Zeitlinie verändert worden war. Oder zurückkorrigiert? Hatte Zamorras Eingreifen nicht nur dafür gesorgt, daß alles so verlaufen sollte, wie es vom Schicksal geplant war?
Wenn es ein Paradoxon geworden war, war das wenigstens nicht feststellbar. Und das Raum-Zeitgefüge war offenbar auch nicht daran zerbrochen.
Tendykes Finger strichen über die Schneide des Henkerbeils.
»Unvorstellbar, daß etwas so scharf sein kann…« Er nahm ein Blatt Papier, strich es durch die Luft und ließ es dabei die Schneide berühren; das Papier wurde glatt zerteilt. »Scharf wie eine Laserklinge… Dämonenwerk«, sagte er. »Schätze, ich werde dieses wunderbare Stück Stahl einschmelzen lassen. Bevor ein anderer größenwahnsinnig wird und Accostos Nachfolge antritt…«
Es war nur logisch, daß Sheriff Bancroft ein wenig unzufrieden war mit dem Ergebnis. Andererseits konnte er die Fälle O’Cann und Bannard mit dem Vermerk »grober Unfug« abschließen.
Wirklich zufrieden waren auch die anderen nicht; zu viele Fragen blieben offen.
Nur ein paar fanden Antwort, viel später in Tendyke’s Home, als die Sonne unterging, am Pool. Alligatorfrei, aber mit Jeronimo Bancroft als Gast, der sein Hauptinteresse den Ladies widmete, die mal wieder völlig textilfrei das Leben genossen.
»Ich weiß nicht mehr genau, was sich noch abgespielt hat«, gestand Tendyke. »Irgendwie ist plötzlich alles verschwommen. Aber wir mußten nicht viel tun; nach dem Tod Don Manfredos metzelten die Calusa die Bewohner des Kastells nieder… oder doch nicht? Kann ich meinen Erinnerungen noch trauen? Was geschah wirklich? Da sind die Calusa, die alle umgebracht haben, und da ist auch die andere Geschichte… Freeman und meine Leute, wir haben die Calusa ausgeräuchert… Wie auch immer: Ich habe dieses Stück Land zugesprochen bekommen. Ein paar Jahre später, von einer der Reunionskammern des vierzehnten Ludwigs. Da gab es schon keine Calusa mehr in der Nähe des heutigen Tendyke’s Home. Wer auch immer später Florida für sich beanspruchte, es interessierte mich nicht - mein Besitz blieb unanfechtbar. Nur daß es ein paar Meilen weiter im ehemaligen Castello der Spanier tatsächlich Regenbogenblumen gegeben hat, war mir bis heute unbekannt…«
Er brauchte sich darüber auch keine Gedanken mehr zu machen. Diese »unsichtbaren« Regenbogenblumen gab es in der Gegenwart nicht mehr.
Sie hatten aufgehört zu existieren, als der Einfluß des MÄCHTIGEN aufhörte, dem sie ihre temporäre Existenz und ihre »Unsichtbarkeit« verdankten. Und da er in ferner Vergangenheit vertrieben worden war, blieb fraglich, ob diese Blumen überhaupt jemals im Jahr 1999 existiert hatten.
Wenn es sie nie gegeben hatte, wie waren dann die diversen Zeitreisen des Calusa und von Zamorra und Nicole vonstatten gegangen? Hatte es sie überhaupt gegeben?
»Darüber«, sagte Zamorra, »sollen sich gefälligst andere den Kopf zerbrechen. Wichtig ist, daß wir alle leben.«
»Und daß Tendyke’s Home , mit Brief und Siegel nach wie vor mir gehört«, lächelte der Abenteurer.
Zamorra legte den Arm um Nicoles Schultern, und sie schmiegte sich an ihn. Er genoß die Wärme ihres Körpers und die Nähe ihrer Seele.
Accosto, der letzte spanische Henker auf dem neuen Kontinent, war tot.
Und Ma-chona, der MÄCHTIGE, war fort. - Seit drei Jahrhunderten. Wirklich..
»Ja!« murmelte er. »So sei es…!«
ENDE
[1] Siehe Professor Zamorra Nr. 655 »Der Tod in Moskau«, Professor Zamorra Nr. 656 »Der Blutpriester«
[2] Siehe Professor Zamorra Nr. 635 »Der achtarmige Tod«
[3] Robert deDigue spielt auf den
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