0657 - Der letzte Henker
anderen aber hatten Säbel.
Und da waren auch noch die Indianer…
***
Gegenwart:
»Ich muß sie da herausholen«, sagte Zamorra. Aber Tendyke packte zu, hielt den Freund fest. »Nein«, sagte er. »Auf keinen Fall! Wenn du eingreifst, zerstörst du alles, schaffst ein Zeitparadoxon!« Zamorra schüttelte die Hand ab. »Das«, sagte er langsam und todernst, »ist mir scheißegal, um es mal völlig unakademisch auszudrücken. Ich werde alles tun für die Frau, die ich so sehr liebe wie nicht einmal mich selbst, und wenn mir jemand dabei in die Quere kommt…«
»Selbst wenn du damit das Raum-Zeitgefüge zum Zusammenbruch bringst?« glaubte Tendyke seinen Freund warnen zu müssen.
Zamorra sah ihn an, stand direkt vor ihm, Gesicht zu Gesicht, nur wenige Zentimeter zwischen ihnen beiden. Und er war eiskalt und ruhig.
»Ja«, sagte er. »Was schert mich das Raum-Zeitgefüge, wenn ich dafür auf das verzichten soll, was mein Leben erst zum Leben macht?«
Denk an alle anderen, denk an alles andere! Tendyke brauchte es nicht zu sagen, nicht zu denken. Die Mahnung kam aus Zamorra selbst. Aber er drängte sie zurück. Ein ganzes Leben - mein Leben! -habe ich dem Kampf gegen die dämonischen Mächte geweiht. Aber in diesem Punkt will und werde ich Egoist sein. Jetzt und ewig. Ich will mit Nicole leben. Und nicht ohne sie. Wenn sie stirbt und ich dabei nur aus der Feme zusehen soll, ohne eingreifen zu dürfen - was wäre das für eine Welt? Keine, die es verdient, auch nur eine Sekunde lang zu existieren!
Er wußte, daß er in diesem Moment, in dieser Sekunde, einen endgültigen Strich zog, eine Markierung setzte.
»Und doch wirst du es lassen«, sagte Robert Tendyke. »Du würdest zuviel zerstören… Verdammt, Zamorra! Glaubst du, mir macht das Spaß?«
Zamorra schüttelte den Kopf. Zamorra schüttelte Tendykes erneut zufassende Hand ab.
Zamorra trat zwischen die unsichtbaren, temporären Regenbogenblumen. Konzentrierte sich auf Nicole. Und landete in einer anderen - Welt? Zeit!
***
Als er aus den Regenbogenblumen hervortrat, stellte er fest, daß sie hinter ihm sofort verblaßten, und als er einen Schritt zurück machte, konnte er sie um sich herum auch nicht sehen. Aber als er die Hände ausstreckte, konnte er die Blätter der mannsgroßen Blüten fühlen. Die Blumen existierten! Aber warum waren sie unsichtbar?
Warum hast du die Regenbogenblumen-Kolonien in deiner Zeit mit einer magischen Blockade versehen, damit sie nicht zufällig von Ahnungslosen benutzt werden? fragte eine ketzerische Stimme in seinem Unterbewußtsein. Vielleicht ist dies eine nicht ganz so moderne Art der Absicherung!
Das war im Bereich des Möglichen.
Er -vergewisserte sich, daß er jederzeit zurückkehren konnte, daß die Blumen sich nicht einfach hinter ihm in Nichts auflösten. Dann sah er sich um. Holz- und Ziegelhütten, alte Menschen und Kinder, Soldaten und Indianer. Alles so, wie er es aus Tendykes Erzählung kannte. Aber von Nicole keine Spur! Mit seiner Kleidung mußte er in dieser Welt und dieser Zeit auffallen. Aber es gab Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Zamorra wurde unsichtbar! Vor langer Zeit hatte er von einem tibetischen Mönch gelernt, seine individuelle Aura nicht über die Grenzen seines Körpers hinaus vordringen zu lassen. Das war eine anstrengende meditative Arbeit, funktionierte aber, und wie sein damaliger Lehrer konnte Zamorra sich heute durch eine gedrängte Menschenmenge bewegen, ohne daß ihn auch nur ein anderer wahrnahm! Seine Aura wurde nicht erkannt, man mochte ihn vielleicht tatsächlich sehen, aber das Bewußtsein des Betrachters akzeptierte die Anwesenheit nicht.
So unsichtbar geworden, lief Zamorra mitten durch die Siedlungsanlage - und hörte den Schuß. Der kam von außerhalb! Das Tor war offen. Zamorra stürmte hindurch. Da sah er den Richtblock, auf den jemand die nackte Nicole niederdrückte, und er sah einen halbnackten Mann, der sich gegen spanische Soldaten wehrte. Und er sah auch den unheimlichen, runzligen Calusa.
Den Schamanen! Der war der eigentliche Feind. Nur besaß Zamorra außer seinem Amulett keine Waffen. Sein »Einsatzkoffer« mit den diversen magischen Hilfsmittel befand sich im Jahr 1999. Zamorras Aktion war zu schnell und zu spontan erfolgt.
Der Mann mit bloßem Oberkörper, der versuchte, die Säbelhiebe seiner geharnischten Gegner abzuwehren, war Robert deDigue - alias Robert Tendyke. Und es war klar, daß er sich nur noch ein paar Sekunden seiner Gegner erwehren
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