066 - Das Tor zur Hölle
schweren Koffer wurden in dem Wagen verstaut.
Elisabeth Bramhill trug einen hellblauen Übergangsmantel.
George P. Bramhill wirkte wie ein Relikt aus einer
anderen Zeit neben ihr. Er trug einen altmodischen, zylinderähnlichen Hut und
über dem wollenen, großkarierten Mantel ein Cape, das zusätzlich seine
Schultern wärmte.
Offenbar gab es in der Familie nicht nur seltsame
Erbkrankheiten, sondern auch Erbkleidung. Der Lord schien die Kleider seines
verstorbenen Vaters aufzutragen. Im ersten Drittel des Jahrhunderts hatte man
noch diese Garderobe tragen können, ohne aufzufallen, doch für Bramhill war die
Zeit offensichtlich stehengeblieben.
Er war schon ein merkwürdiger Kauz.
Die Bramhills fuhren davon.
Drei Minuten später bekam auch Iwan Kunaritschew ein
Taxi. Er ließ sich in die Southampton Road fahren. Dem Britischen Museum schräg
gegenüber lag das Bonington-Hotel.
Dort war ein Zimmer für ihn reserviert.
●
Für den Taxifahrer war eine Fahrt so weit hinaus ein
Geschäft.
Das Taxameter zeigte schon einen ansehnlichen Betrag und
das Fahrtziel war noch immer nicht erreicht.
Kurz vor Mitternacht endlich kam das Taxi vor dem
einsamen Landhaus an.
»Hupen Sie bitte mal«, verlangte Lord Bramhill. Dann
stieg er aus.
Der Fahrer hupte. Die Lichter im Parterre gingen an, dann
wurde die Tür geöffnet.
Charles kam sofort aus dem Haus, zeigte würdevolle Freude
über die Rückkehr der Herrschaften und war behilflich, das Gepäck
hereinzuschaffen.
Der Chauffeur wurde entlohnt, bekam ein Trinkgeld und
fuhr davon.
Charles schloß die Tür ab und hatte erst jetzt
Gelegenheit, seine Herrschaft im Licht der geräumigen Diele zu begutachten.
Charles war ein perfekter Butter, ein Mann, der es
gewohnt war, ohne mit der Wimper zu rucken, jeden Auftrag anzunehmen und auch
unangenehme Situationen nur mit einem Heben der Augenbrauen zu registrieren und
kein Wort darüber zu verlieren.
Charles war verschwiegen und treu. Er war alt, er gehörte
zum Inventar dieses Hauses.
Der Butter diente in der zweiten Generation, und es
schien, als sollte mal mit seinem eigenen Ableben auch der Weiterbestand der
Bramhills in Frage gestellt sein. Die jetzigen Herrschaften hatten keine
Nachkommen. George P. Bramhill war der letzte Sproß eines bis in das zwölfte
Jahrhundert zurückgehenden Stammes.
Es fröstelte den Butter, als er die Lady jetzt aus der
Nähe sah.
Und nur seiner guten Erziehung und seines
jahrzehntelangen Trainings hatte Charles es zu verdanken, daß er nicht
erschreckt zusammenzuckte.
War das noch Lady Elisabeth?
Um Jahre schien sie gealtert! Aber das Paar war nur ganze
vier Monate weggewesen.
Sie wirkte gebrechlich und krank.
Charles warf einen Blick auf seinen Herrn, der das
kontrollierte Erschrecken seines Butlers wohl bemerkt hatte.
Elisabeth Bramhill suchte sofort ihr Zimmer auf.
Wie ein Gespenst, leicht und beinahe lautlos, glitt sie
mit ihren dünnen Beinen durch die Diele und schien kaum die nach oben auf die
Galerie führende Treppe mit ihren Füßen zu berühren.
Sie verschwand in ihrem Zimmer.
»Soll ich Dr. Whit holen, Sir?« fragte Charles. Er sprach
leise, tonlos und wirkte bleich. »Ist Mylady auf der Reise krank geworden?«
»Ein Arzt wird hier nichts ausrichten können, mein lieber
Charles«, sagte George P. Bramhill, während sein Butler ihm behilflich war, das
Cape, den alten karierten Mantel und den Hut abzunehmen. »Die Reise war sehr
anstrengend. In wenigen Wochen wird Lady Elisabeth sich wieder erholt haben.«
Unwillkürlich ging des Butlers Blick hinüber zum
Kaminsims, wo eine Anzahl von Fotografien in Silberrahmen standen.
Die dort aufgestellten Bilder zeigten Personen aus dem
umfangreichen Verwandten- und Bekanntenkreis der Bramhills.
Unter der Fotogalerie befand sich auch eine sehr schöne
Portraitaufnahme von Lady Elisabeth.
Sie hatte die Angewohnheit, mindestens alle zwei Jahre
ihr Foto dort gegen ein neues auszutauschen.
Das Bild auf dem Kaminsims war erst ein gutes Jahr alt.
Aber es schien im Vergleich zu der Frau, die heute zurückgekommen war, bereits
vor einem Jahrzehnt gemacht worden zu sein.
Auf dem Bild war die Frau strahlend, jugendlich, hatte
volle, rosige Wangen und glänzende Augen, in denen schon immer ein Hauch von
Trauer lag, so daß ihr Gesichtsausdruck von jeher dem Betrachter rätselhaft
erschien.
Charles konnte nicht so recht glauben, was sein Herr da
sagte, aber er war hier nicht angestellt, um sich nach Dingen zu erkundigen,
über
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