066 - Marionetten des Satans
wollte auch weit weg sein. Ich wollte um mein Leben laufen.“
„Julie! Was redest du denn da?“
„Ein Traum. Du hast mich aus einem schrecklichen Alptraum geweckt“, sagte sie und schauderte, als sie an die schwarzen Gestalten dachte, an ihre gefesselten Gelenke. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf ihre Hand, die den Hörer hielt. Und da sah sie die blauschwarzen Streifen am Handgelenk. Sie mußte während der Nacht gegen einen Bettpfosten gestoßen sein …
„Es war schrecklich“, sagte sie. „Doch jetzt habe ich mich schon davon erholt. Aber noch nicht ganz …“ Ihr Herz pochte, und sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
„Komm in die Wirklichkeit zurück, Mädchen. Hier ist Mike, heute ist Sonntag, und ich liebe dich. Na, geht es dir jetzt besser?“
„Viel besser“, sagte Julie lächelnd.
„Was hast du heute vor?“
„Oh – nicht viel. Ich bringe Bobby und Tom nach Brooklyn. Bobby bleibt bei meinen Eltern bis nach der Premiere. Dann komme ich zurück und bereite mich auf die morgige Probe vor.“
„Ich habe eine bessere Idee. Wie wär’s, wenn ich dich mit dem Auto abholte? Wir liefern Bobby bei deinen Eltern ab, und dann fahren wir nach Long Island. Dort können wir Sherman Picotte besuchen. Er wird dir gefallen. Er ist jetzt fast neunzig und eine wandelnde Theaterenzyklopädie.“
„Fein, Mike. Klingt alles sehr verlockend.“
„In zwei Stunden bin ich bei dir.“
Sie zog einen Morgenmantel an und ging in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Durch das Fenster sah sie Bobby, Tom und Gargantua im Garten herumtollen, und dieser Anblick verjagte die letzten Schatten der bösen Nacht.
Dann sah sie die zwei schmutzigen Teller, die Popcorns, die auf dem Boden verstreut lagen. Es war eine ziemliche Unordnung, aber Julie lächelte trotzdem. Bobby hatte sich zum erstenmal in seinem Leben selbst das Frühstück gemacht.
Sie hatte keinen großen Hunger und goß sich nur eine Tasse Kaffee ein. Als sie sich gerade an den Tisch setzen wollte, klopfte es an der Tür. Im Glauben, es seien die Kinder, rief sie: „Herein!“
Die Tür öffnete sich, und Lou Davilla humpelte in die Küche. Julie sprang auf.
„O Gott, ich muß ja schrecklich aussehen.“ Sie strich sich über ihr zerzaustes Haar. „Und die Kinder haben hier eine solche Unordnung gemacht. Es tut mir leid. Ich bin gerade erst aufgestanden.“
Davilla kam auf sie zu.
„Sie sehen wunderschön aus, Julie“, sagte er sanft, und wieder verwirrte sie diese Stimme. Es war ihr, als streichelten seine Blicke ihre nackte Haut unter dem Morgenmantel. Sie zog den Mantel fester um sich und kreuzte die Arme vor der Brust.
„Verzeihen Sie, daß ich Sie um diese Zeit schon störe, Julie“, sagte er. „Aber ich möchte einkaufen gehen, und da wollte ich Sie fragen, ob ich Ihnen etwas besorgen kann.“
„Danke, ich brauche nichts“, sagte Julie und hoffte, daß ihre Stimme nichts von ihren wirren Gefühlen verraten würde.
„Es gibt verschiedene Läden hier, die auch sonntags geöffnet haben. Sie liefern die Sachen auch ins Haus.“
„Ja, das weiß ich bereits …“
„Ich wollte Sie auch noch fragen, ob Sie Fotos haben, die ich für die Publicity benutzen kann.“
„Oh, ja. Aber die sind noch in Brooklyn. Ich kann sie heute holen, wenn ich Bobby zu meinen Eltern nach Brooklyn bringe. Mike fährt mich hin.“
„Wann? Heute nachmittag?“
„Nein, schon in zwei Stunden. Wir werden den ganzen Tag wegbleiben.“ Lou Davilla runzelte die Stirn. „Ich wollte Sie bitten, mich heute zu besuchen, um die anderen Mitglieder der Truppe kennenzulernen. Es wäre ganz gut gewesen, wenn Sie mit den anderen schon vor der morgigen Probe Kontakt aufgenommen hätten.“
„Es tut mir auch leid. Aber ich muß die Kinder nach Brooklyn bringen, und ich habe Mike versprochen, mit ihm einen Freund zu besuchen. Vielleicht kennen Sie ihn: Sherman Picotte.“
Eine lange Pause trat ein. Loü Davilla schien in Gedanken weit weg zu sein. Schließlich sagte er: „Sherman Picotte – ja, natürlich. Er ist ein bedeutender Theaterexperte. Er hat mehrere Artikel und Bücher geschrieben. Ist er ein guter Freund von Mr. Abel?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Interessant … Will Mr. Abel ihn in einer besonderen Angelegenheit sprechen?“
„Das weiß ich nicht.“
„Jedenfalls wird diese Begegnung sehr interessant für Sie werden. Wenn Sie zurückkommen, bringen Sie mir bitte noch die Fotos.“
„Ja, natürlich.“
Lou Davilla
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