066 - Marionetten des Satans
lächelte, nickte ihr zu und ging.
Julie fühlte, wie ihre Atemzüge ruhiger wurden. Die Vision eines Rehs, das aus dem Wald auf eine Lichtung trat, entstand vor ihr.
Warum zitterte sie?
Die Fahrt zum Haus ihrer Eltern verlief sehr angenehm, und auch der kurze Besuch war voll ungetrübter Heiterkeit. Julies Mutter hatte schon immer viel von Mike gehalten, und sie ließ sich seine neckenden Schmeicheleien gern gefallen. Nachdem sie die Kinder versorgt hatten, lehnte sich Julia entspannt im Wagensitz zurück. Mikes Gesellschaft tat ihr wohl. Er strahlte eine Ruhe aus, die auch auf sie übergriff. Eine Ruhe, vor der sie bisher immer davongelaufen war. War sie auch jetzt schon wieder drauf und dran, diese Ruhe zu fliehen?
Lou Davillas bleiches Gesicht mit der gefurchten Stirn tauchte vor ihr auf, und die schmeichelnde Stimme schien ihr etwas zuzuraunen. Schuldbewußt, als hätte sie ihn betrogen, berührte sie Mikes Schulter. Er wandte ihr das Gesicht zu und musterte sie prüfend.
„Tu es nicht, Julie.“
„Was?“
„Laß dich nicht mit ihm ein.“
„Mit wem?“ fragte sie, obwohl sie genau wußte, wen Mike meinte.
„Davilla.“
„Sei doch nicht so dumm, Mike.“
„Ich bin nicht dumm. Ich sah noch nie zuvor im Leben so klar. Komm ihm nicht zu sehr in die Nähe.“
„Mike, ich bin wirklich nicht interessiert an ihm. Unsere Beziehungen sind rein beruflich.“
„Nein, Julie. Ich kenne dich. Ich weiß, was du denkst und fühlst. Der Kerl ist irgendwie interessant, sieht gut aus, und seine Gegenwart wirkt hypnotisierend. Sogar ich habe das gespürt. Aber ich warne dich, Julie. Ich meine es ernst.“
„Mike, wovon redest du überhaupt?“
Verschwunden waren der Friede, die Ruhe.
„Ich spüre die Gefahr ganz instinktiv, Julie. Nach dem Besuch heute kann ich dir vielleicht mehr sagen.“
„Wieso?“
„Wart es ab, Julie.“
Das Haus lag an der Meerenge von Sand Points. Eine breite Steinveranda lag im Halbkreis um einen Brunnen. Sherman Picotte paßte zur altmodischen Fassade des Hauses. Er war ein kleiner Mann mit grauem Kraushaar, einem faltenreichen würdigen Gesicht. Er kleidete sich mit betulicher Eleganz und hielt sich sehr aufrecht. Sein Geist hatte trotz seines Alters nichts an Schärfe verloren, und er konnte seine Gedanken mit derselben präzisen Zielsicherheit formulieren wie früher.
„Komm nur, Junge“, rief er mit dröhnender Stimme, als Mike den Wagen vor der Veranda parkte. „Komm herauf! Verdammt will ich sein, wenn ich diese mörderischen Stufen hinabsteige, um dich zu begrüßen!“
„Du alter Gauner!“ rief Mike lachend zurück. „Faul wie eh und je!“
Er nahm eine braune Papiertüte aus dem Wagen und half dann Julie beim Aussteigen.
„Freut mich, dich zu sehen, Junge“, sagte Picotte und umarmte Mike. Dann musterte er Julie gründlich. „So, das ist also das Mädchen. Hm.“ Er nickte anerkennend. „Du hast einen guten Geschmack, mein Junge.“
Er führte seine Gäste in die große Eingangshalle, die mit Statuen und Gemälden geschmückt war. Julie erkannte kostbare Bilder von Monet und Cezanne.
„Ich kann dir sagen, Mike, das Mädchen hätte ich mir selbst ausgesucht.“
„Vielen Dank.“ Julie fühlte sich sofort zu dem alten Mann hingezogen.
„Es ist nett von euch, daß ihr euch die Zeit nehmt, einen alten Kerl wie mich zu besuchen. Viele junge Leute fürchten sich vor dem Alter, und so bin ich oft allein.“ Er führte sie in einen Wintergarten. Dort war der Teetisch bereits gedeckt. Als sie Platz genommen hatten, bat er: „So, und jetzt erzählt mal. Ich will alles über euch beide wissen, und dann kommen wir zum springenden Punkt.“ Für einen Augenblick wurde sein freundliches Gesicht ernst, aber dann lächelte er sofort wieder. Mit Grazie und bemerkenswert sicherer Hand goß er Tee ein und reichte seinen Gästen die Tassen.
Er befragte Mike über seine Arbeit und kommentierte dessen Bericht mit witzigen, geistreichen Bemerkungen. Dann wandte er seine volle Aufmerksamkeit Julie zu. Sie wunderte sich, wie unbefangen sie zu diesem reizenden alten Mann über alles sprechen konnte, was sie betraf. Sie erzählte von ihrer Scheidung, von ihren Bemühungen, ein neues Leben zu beginnen, über ihr Kind, über ihren Job bei Lou Davilla, von der Rolle, die sie im Grand Guignol-Theater spielen sollte.
Sherman Picotte hörte aufmerksam zu.
„Lou Davilla …“, sagte er nachdenklich, als sie geendet hatte. „Den Namen habe ich schon irgendwo
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