0664 - Satan in Weiß
mal. Was wollen Sie denn hier?«
»Vielleicht interessiere ich mich für bestimmte Kranke!«
»Hau ab!« röhrte der Kerl. »Hau nur ab, sonst verstecke ich dich hier in der Hütte.«
»Das würde ich dir nicht raten. Beantworten Sie mir lieber einige Fragen!«
»Klar doch, klar, die kriegst du beantwortet, aber auf meine Art und Weise.« Bevor Harry sich versah, war der Kerl drei Schritte zur Seite gelaufen und schnappte sich eine der rostigen Heugabeln. Er drehte sie blitzschnell herum, und die Zinken zeigten plötzlich auf den Kommissar.
»Sie sind rostig, aber sie können dich noch aufspießen wie einen Broiler, Mann.«
»Lassen Sie es!«
»Nein!«
Der Kerl war wie von Sinnen. Harry hatte nicht damit gerechnet, dass er die Drohung in die Tat umsetzen würde, aber der Mann rannte tatsächlich vor, um ihm die Zinken in den Leib zu rammen.
Im letzten Augenblick wich Harry aus. Die Gabel verfehlte ihn, nicht aber der Körper des Mannes, denn mit der Schulter wurde Harry Stahl gerammt, rutschte auf dem Boden aus und fiel der Länge nach hin, was der Kittelträger mit einem Jubelschrei quittierte, als er seinen Gegner auf dem Rücken liegen sah.
»Jetzt mache ich dich kaputt!«
Der Patient bekam von alldem nichts mit, hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen und sprach in die Handflächen hinein, wobei das Wort Blut immer häufiger vorkam.
Der Bewaffnete schlug einen Bogen um den Patienten, was Harry Stahl zwei oder drei Sekunden brachte.
So schnell wie in dieser baufälligen Hütte hatte er noch nie eine Pistole gezogen. Es war die letzte Chance, und er war fest entschlossen, abzudrücken, wenn der Kerl zustoßen würde.
»Las es sein!« brüllte Harry Stahl. Seinen rechten Arm streckte er aus.
Die Verlängerung der Hand bildete die Pistole, und die war auch bei diesen ungewöhnlichen Lichtverhältnissen zu erkennen.
Der Mann mit den breiten Lippen hielt den Griff der Heugabel mit beiden Händen fest und hatte sie bereits zum Stoß erhoben, als ihn die Worte trafen.
Er blieb tatsächlich stehen. Das dunkle Loch der Mündung glotzte ihn an.
Aber er senkte seine Arme nicht.
»Die Kugel ist immer schneller als deine Gabel, Mann!«
»Scheiße!«
»Las sie fallen!«
Der Kittelträger nickte. Er drehte sich etwas und schleuderte die Heugabel weg.
»So und jetzt…«
Da rannte der Mann weg. Er hatte blitzschnell kehrtgemacht, dem Kommissar seinen Rücken zugedreht und huschte einen Wimpernschlag später aus dem Bau.
So schnell hatte Harry nicht reagieren können, und in den Rücken wollte er nicht schießen.
Harry kam wieder auf die Füße. Er lief auch zum Ausgang. Leider besaß der Kerl einen zu großen Vorsprung. Sein Kittel wehte auf, als er über den Acker hetzte, und Harry hätte die Verfolgung übernehmen können, das ließ er bleiben.
An diesem Kerl würde er immer wieder herankommen. Wichtiger war jetzt der Mann, der zurückgeblieben war, noch immer kniete, den Oberkörper jedoch vorgebeugt hatte und mit beiden Händen über den Boden strich, wo er das Blut verteilte, das aus seinem Nasenloch tropfte.
»Jaaa«, dehnte er, »jaaa… es ist das Blut. Es ist Blut. Es soll so sein…«
Harry blieb neben ihm stehen. Der Kranke nahm ihn erst gar nicht zur Kenntnis. Flüsternd sprach er nur von dem Blut, das in seinem Körper floss und nach dem er so gierte.
Harry zog ihn hoch.
Mit einem unruhigen Ausdruck im Gesicht schaute ihn der Mann an.
»Willst du mir auch Blut geben…?«
»Bestimmt nicht.«
»Ich werde es dir aussaugen.«
»Bist du ein Vampir?«
»Noch nicht!« keuchte der Kranke. Er klammerte sich an Harry Stahl fest. »Noch bin ich kein Vampir.«
»Aber du wirst einer werden?«
»Ja, nach der nächsten Spritze. Wir alle werden zu Vampiren werden. Einige von uns sind es schon. Sie haben die Stadt bereits verlassen und sind nach Berlin gefahren.«
»Du noch nicht?«
»Nein, aber bald. Noch eine Spritze, dann werde ich mich von deinem Lebenssaft ernähren können.«
Harry bekam bei diesen Worten das kalte Gefühl im Nacken. Er glaubte nicht daran, dass der Mann, gelogen hatte.
Was sich in der Lutherstadt Wittenberg heimlich zusammengebraut hatte, konnte nur als Geburt der Vampirbrut bezeichnet werden.
Das Gesicht des Kranken wirkte bleich und eingefallen. Er war vom Alter her kaum zu schätzen, der Aufenthalt in der Klinik hatte ihn gezeichnet.
»Weshalb bist du geflohen?«
»Ich wollte weg.«
»Jetzt bleibst du bei mir.«
»Bringst du mich in die Klinik?«
»So
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