0667 - Das Horrorhaus von Pratau
flexibel und gleichzeitig auch lernbegierig, so war ihm der Wechsel in eine andere Branche leicht gefallen.
Er arbeitete jetzt als Vertreter für einen großen Verlag aus dem Westen. Er musste dafür sorgen, dass Romane und Zeitschriften an die Großhändler geliefert wurden. Auch um andere Dinge musste er sich kümmern. Der Job war stressig, denn zu seinem Gebiet gehörte Sachsen, Sachsen-Anhalt und auch noch ein Teil von Brandenburg. Da musste er einige Kilometer zurücklegen, um das Gebiet zu bereisen und die Termine einzuhalten. Einen Nachteil hatte der Job allerdings. Es lag nicht an der Arbeit selbst, dafür an seinem fahrbaren Untersatz, dem hellblauen Trabi, den er noch immer fuhr. In der Firmenleitung hatte man ihm allerdings versprochen, dass er bald einen Westwagen bekommen würde.
Oft genug musste Werner Kraus außerhalb übernachten. Wenn es die Reiseroute aber eben zuließ, sorgte er dafür, dass er am Abend oder in der Nacht zurück in die Nähe von Wittenberg fahren konnte, wo er auch wohnte. Geheiratet hatte er zwar, war aber inzwischen geschieden worden und wieder zu seiner Mutter, einer Witwe, gezogen. Hinzu kam, dass die Hotels im Osten nicht gerade das Wahre waren und er sich zu Hause unter die Dusche stellen konnte und sich nicht nur mit einem Waschbecken begnügen musste.
An diesem Wochentag war er lange unterwegs gewesen. Die Strecke allerdings hatte er so gelegt, dass er am Abend hätte zu Hause sein können. Leider war ihm etwas dazwischen gekommen. Nichts Berufliches, sondern etwas Wetterbedingtes: Frost und Glatteis.
Auf einigen Straßen hatte er nur im Schritttempo fahren können. Der alte Trabi hatte sein Bestes gegeben, der Lkw vor ihm nicht, er war in den Graben gefahren bei einem Ausweichmanöver, und der zweite Wagen hatte die Fahrbahn blockiert.
Das bedeutete zwei Stunden Zwangspause.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Kraus befand sich auf dem platten Land, sein Vorrat an Zigaretten neigte sich dem Ende entgegen, er verspürte Hunger und sagte sich, dass er es bis zu Hause nicht mehr aushielt.
Also fuhr er das nächste Dorf an, wo ein trübes Außenlicht die Tür einer Eckkneipe streifte und sich auf einer schmutzigen Scheibe verlor. In der Kneipe war es warm, weil der Kanonenofen in der Ecke bullerte, leider auch stank.
Ein Gruß aus dem Westen war ebenfalls vorhanden. Der nagelneue Zigarettenautomat, an dem sich Kraus zunächst einmal versorgte. Es saßen nur drei Gäste an der Theke, an den Tischen hockte niemand, der Wirt las in einer Zeitung und schaute erst auf, als sich Werner Kraus als vierter Gast an den Tresen stellte.
»'n Abend.«
»Hallo.« Der Wirt legte die Zeitung weg. »Was darf es denn sein, der Herr?«
Werner Kraus strich durch seinen Bart, der den Mund wie dunkel gewordenes Sauerkraut umwuchs.
Er rückte die Brille höher und meinte: »Eigentlich hätte ich Hunger.«
»Den habe ich auch!«, meldete sich einer der Gäste.
Der Mann hinter der Theke schaute den Sprecher kurz an. »Halt den Mund, Raasch. Du kannst zu Hause essen.«
»Warum?«
»Weil ich nur meine Spezialitäten an den verkaufe, der auch bezahlen kann.«
Die anderen lachten, während Raasch nur die Schultern hob und seinen Schnaps kippte.
»Was möchten Sie denn?«
Kraus hob die Schultern. »Was haben Sie?«
»Bockwurst und Buletten.«
Werner Kraus nickte. »Sind die Thekenflöhe gut?«
»Und wie. Sie müssen nur auf die Nägel achten, denn bei Pferdefleisch kann man für nichts garantieren.«
»War es ein alter Zosse?«
»Ja.«
»Dann geben Sie mir nur zwei. Aber die Buletten mit Affenkacke.«
»Hä?«
»Affenkacke ist Senf.« Werner Kraus grinste. »Wieder was dazugelernt, oder?«
»Kann man wohl sagen.«
Der Wirt hob eine Käseglocke aus Kunststoff in die Höhe und klaubte vom Teller zwei braune Buletten. Kraus bekam sie mit Senf, probierte und nickte. »Ja, die sind gut.«
»Sag ich doch. Auch was zu trinken?«
»Bier.«
Eines konnte er sich erlauben. Er brauchte jetzt einfach den Schluck. Der Mann hinter der Theke hatte unwahrscheinlich lange und behaarte Arme. Da konnte er zwei Schritte vom Zapfhahn entfernt stehen und immer noch einschenken.
Das Bier schäumte in das dickwandige Glas. Kraus trank, nachdem er die erste Frikadelle gegessen hatte. Er war kaputt, hockte auf seinem Sitz und lauschte den Gesprächen der anderen Gäste, die sich nur um Arbeit und die bevorstehende Wahl drehten.
Nach dem Essen rauchte er eine Zigarette, schaute auf seine Uhr und
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