067 - Der grausame Götze
und zerrten die Rinder durch den Mittelgang ins Freie hinaus. Ein halbnacktes Mädchen schwang sich auf den Hals des Stiers und hämmerte mit den Fersen gegen seine Flanken.
„Treibt sie zum Dämonen! Laßt sie vom Namenlosen segnen!" schrie Sarchow. Er drehte sich um und setzte sich wieder an die Spitze des Zuges, der auf demselben Weg zurückkehrte, auf dem er gekommen war. Nachdem der letzte Besessene das offene Tor passiert hatte, begannen die Tiere in den Ställen wieder zu brüllen, sich aufzubäumen und an den Ketten zu zerren. Ein unbeschreiblicher Tumult entstand.
Die Rasenden saßen auf den Tieren, bissen sie in die Ohren und klammerten sich am Gehörn fest. Auch die beiden Tiere wurden von Raserei ergriffen. Sie schüttelten und wanden sich. Bei jeder Bewegung schrien die Teufelsanbeter auf. Sie rissen sich gegenseitig von den Tieren herunter, kletterten selbst hinauf und wurden von den anderen wieder heruntergestoßen.
Die Ketten klirrten. Der junge Stier versuchte auszubrechen, aber fünfzehn Besessene, die sich an ihn klammerten, zerrten und rissen ihn mit sich.
Das Tier blutete aus Nase und Ohren, als alle wieder vor dem Tempel ihres Götzen standen.
Neben dem ersten Stein, einer gräßlichen Dämonenfratze mit langen Fangzähnen, standen Dorian Hunter und Coco Zamis und beobachteten die Näherkommenden. Sie waren fast taub vom Dröhnen der Trommel.
„Blutrausch", sagte Coco leise. „Wenn sie diese Schwelle überschritten haben, beginnt ihre satanische Orgie."
Dorian murmelte.
„Noch opfern sie nur Tiere. Noch sind es keine Menschen."
„Rechnest du damit?"
„Das muß ich. Außerdem terrorisieren und tyrannisieren sie schon seit Wochen die Bewohner. Hast du einen von ihnen gesehen?"
„Nein. Sie haben sich in den Häusern verbarrikadiert."
„Und sie werden sich nicht herauswagen, ehe der Spuk vorüber ist. Gerade in der Sowjetunion sind Aberglauben und Dämonenfurcht noch lebendig."
Coco deutete auf die näherkommende Prozession, in der sich jede Ordnung aufgelöst hatte. Die Teufelsanbeter gebärdeten sich wie Rasende. Ihre Kleider hingen in Fetzen herunter. Michail saß auf dem Kalb und strich die drei Saiten seiner Violine. Der Bogen verfing sich immer wieder in der vierten Saite. Er entlockte dem Instrument ein höllisches Kreszendo von jaulenden und falschen Tönen. Der Stier schnob fauchend und streckte die Zunge heraus. Sein Schwanz war steil aufgerichtet, als wollte er angreifen wie ein Kampfstier.
Alexander Sarchow sprang zur Seite und schwang seine Fackel über den Kopf.
Die Besessenen zogen die Tiere in das haus hinein.
Leise näherte sich Dorian dem Philosophen des Satans und sagte: „Noch opfern Sie Tiere, Sarchow. Wann werden Sie sich an Ihren Mitmenschen vergreifen?"
Sarchow lachte heiser und deutete auf den Eingang, in dem gerade die letzten Anhänger des Satanskults verschwanden.
„Erst dann, wenn wir wissen, wozu uns die Sklaven nützlich sein können. Wir haben ein riesiges Reservoir. Fünftausend angstschlotternde Bürger von Dormogorsk. Und die Soldaten dort draußen." „Sie sind besessen, Sarchow!" erklärte Coco. „Was geschieht dort drinnen?"
Sarchow legte seinen Arm um ihre Schultern und wollte sie mit sich ziehen. Aber Coco drehte sich blitzschnell auf dem Absatz um und sagte: „Nein! Nicht mit mir!"
„Noch nicht", belehrte sie der glatzköpfige Teufelsanbeter. „Kommen Sie trotzdem zu uns. Sie sind willkommen - die anderen nicht. Und schon gar nicht der Barbar Kiwibin aus Moskau."
„Lassen Sie uns aus dem Spiel", beschwor ihn Dorian ernst. „Ihre Gruppe wird so enden wie alle Teufelsanbeter und Dämonenfreunde vor Ihnen."
„Sie irren sich. Aber für Diskussionen ist der Tag besser geeignet. Die Nacht gehört dem Blut!" sagte Sarchow. Er lachte noch einmal und stürzte durch den leeren Eingang in den matt erleuchteten Innenraum.
Langsam und unentschlossen folgten ihm Coco und Dorian.
Dreizehn lodernde Fackeln steckten in mittelalterlichen Eisenringen an der kreisrunden Wand des Versammlungsraums. Ein zweiter Kreis von dreizehn Schalen, in denen harziges Öl rußend verbrannte, umgab den Opferblock und die Teufelsstatue. Zwischen den beiden Ringen aus Feuer verlief ein etwa drei Meter breiter Gang.
Rund um den Sockel, auf dem der Namenlose saß, lag das riesige schwarze Tuch wie ein schwarzer Wall. Siebenunddreißig Besessene und zwei Tiere rannten, stolperten, tappten und tanzten um den inneren Kreis der Feuerschalen. Der Raum schien
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