067 - Der grausame Götze
sich nur noch schwach wehren konnte, über den Block und drehte seinen Schädel herum. Die Muskelstränge unter dem schweißnassen Fell waren hart und gespannt. Das Tier atmete keuchend.
Dann blitzte ein gekrümmtes Schwert auf.
Das Blut schoß in die Schale und füllte sie sofort. Kaum hatte Tamara die Hände sinken lassen, stürzten sich von allen Seiten die Teufelsanbeter auf das Tier, das schwach mit den Läufen schlug und verendete. Ein süßlicher Geruch breitete sich aus und vermischte sich mit dem Gestank der Feuerschalen und der Fackeln und der Ausdünstung der Tiere und der schwitzenden Menschenleiber. Coco und Dorian wandten sich unwillkürlich ab. Aber gleich darauf hing Dorians Blick wieder wie gebannt an der rothaarigen Schönheit. Sie stand auf, umrundete den Opferstein und blieb vor den ausgestreckten Armen des Namenlosen stehen.
Er bewegte sich langsam, aber in jeder Geste lag ungeheure Kraft.
Seine Hände umfaßten die Hüften Tamaras, ohne daß die Krallen die Haut verletzten.
Dann hob der Dämon das Mädchen hoch, die immer noch die große Schale mit dem dampfenden Blut hielt. Der Namenlose legte Tamara über seine Knie, nahm ihr die Opferschale aus der Hand und leerte sie mit einem einzigen Zug. Schmatzend, schlürfend und gurgelnd genoß er das Blut und warf die Schale dann achtlos auf den Körper des Tieres.
Der Stier lag über dem Opferblock, die Vorderbeine auf der einen und die Hinterbeine auf der anderen Seite. Rund um den Körper des Tieres lagen ineinander verschlungene Knäuel von menschlichen Körpern. Sie alle tranken das Blut, saugten die Lebensenergie aus dem Tier. Sie waren derart berauscht, daß sie sich wie ein Rudel Wölfe verhielten. Und dann begann sich der Körper des jungen Stiers zu verwandeln.
Das Fell wurde stumpf, die Hörner rissig. Der eben noch kraftvolle Körper schien zusammenzufallen wie eine leere Ballonhülle. Vor den Augen der beiden entsetzten Beobachter schrumpfte das riesige Tier zu einer mumienhaften Hülle zusammen.
Mit leuchtenden Augen sah der Dämon dem Treiben zu.
Er hielt den bewegungslosen Körper Tamaras an sich gepreßt. Das Mädchen bewegte sich nicht. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Sie schlief und träumte - scheinbar.
Das zweite Opfertier stand mit hängendem Kopf und gespreizten Beinen neben dem Sockel und schien sich in Stein verwandelt zu haben. Einer der Übermenschen hatte die Kuh gelähmt.
Coco betrachtete die schaurige Szene voller Ekel und Abscheu und flüsterte: „Können wir wirklich nichts tun, Dorian?"
„Nein", erwiderte Dorian. „Wir können nur versuchen, die sogenannten Übermenschen zu überzeugen. Jetzt haben sie sich in Tiere verwandelt - oder in Wesen, die niedriger sind als Tiere. Vielleicht sind sie morgen ansprechbar."
„ich werde versuchen, mit Sarchow zu sprechen. Dieses Genie wird sicher den Argumenten einer Frau mit scharfem Verstand zugänglich sein."
„Du mußt versuchen, ihn zu verstehen. Dieser Taumel ist zunächst nur die Reaktion auf die jahrelange Erstarrung. Aber ich habe einen ganz anderen Verdacht. Sieh genau hin, Coco!"
„Ja?"
„Ich will dich nicht beeinflussen. Wenn du sie ansiehst, hast du einen bestimmten Eindruck, nicht wahr?"
Coco zwang sich dazu, in die blutbeschmierten Gesichter zu blicken. Sie starrte sie lange an, ohne daß ihr klar wurde, was Dorian meinte.
Endlich sagte sie leise: „Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Es wird mir helfen, morgen mit Sarchow zu sprechen."
„Gut. Dann gehen wir. Was heute noch passieren wird, können wir uns vorstellen." .
Coco drehte sich um und lief schnell hinaus. Dorian warf noch einmal einen Blick auf das Mädchen, das in den Armen des Götzen lag. Jetzt schien sie zu sich zu kommen. Sie bewegte ihren vollkommenen Körper träge und schläfrig, glitt an der Brust des Dämonen vorbei und stieg vom Sockel herunter. Wie eine Schlafwandlerin ging 'sie zwischen den verschlungenen Körpern der Enthemmten hindurch auf den Ausgang zu.
Dorian hatte genug gesehen. Schweigend folgte er Coco hinaus in die Dunkelheit der Siedlung. Der volle Mond stand am Himmel. Sein kalkiges Licht überstrahlte den Glanz der Sterne. Noch immer schrien die aufgeregten Tiere in den Ställen.
Sie schienen den Tod zu wittern.
Nachdem Dorian das halbe Hotel durchsucht hatte, fand er ein Magazin, das mit Nahrungsmitteln gefüllt war. Kaffee war nicht dabei, aber er fand ein Paket Tee. Eine Stunde später frühstückte er mit Coco in dem gespenstisch
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