0670 - Der Sarg-Designer
Schultern. »Schlecht, John, sehr schlecht. Das kann ein normaler Fall…«
»Egal, Alter. Wir werden die Sache schon schaukeln. Selbst kurz vor dem Fest.«
»Hast du heute deine sentimentale Stunde?«
»Laß mich doch.«
Über das Thema konnten wir nicht diskutieren, denn das Telefon schlug an. »Ist für dich«, sagte ich und drückte den Apparat nebst Schwenkarm in Sukos Richtung.
Der nahm ab, meldete sich und nickte mir zu. Ich schaltete den Lautsprecher ein, so daß die Stimme des Kollegen aus der Fahndung durch den Raum hallte.
»Da haben wir unwahrscheinliches Glück gehabt«, erklärte der Mann. »Der Wagen ist registriert.«
»Ja, auf seinen Besitzer. Es ist eine Frau. Sie heißt Mona Slater. Fünfundzwanzig Jahre alt und geboren in Middlehearst bei…«
»Wo wohnt Sie?«
»In einer Siedlung am Fluß. Ist so eine Art Wohngemeinschaft. Jedenfalls habe ich mich erkundigt und festgestellt, daß dort mehrere zusammen hausen und…«
»Wo genau?«
Suko bekam die Adresse, notierte sich alles und erklärte, daß er sich um den Fall kümmern wollte.
»Das wird die Kollegen freuen.«
»Ja, bestellen Sie ihnen eine fröhliche Weihnacht.«
»Werde ich, dito.«
Suko schaute mich an und lächelte. »Mona Slater«, sagte er, »da haben wir es.«
»Na und?«
»Kennst du sie?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Und sie lebt in einer Wohngemeinschaft. Eine Frage am Rande. Ist das verdächtig?«
»Nur bei Spießern.«
Suko stand auf. »Damit wäre unser Tag gerettet oder ausgefüllt. Fährst du mit?«
»Und ob.«
Sir James brauchten wir keinen Bescheid zu geben. Unser Chef war verreist. Das mußte sich mal einer vorstellen. Der Alte hatte sich zurückgezogen und sein über alles geliebtes London verlassen. So etwas war in den letzten zwanzig Jahren bei ihm nicht mehr vorgekommen. Niemandem hatte er sein Ziel verraten. Wir konnten nur spekulieren und rechneten sogar damit, daß er seine ehemalige Frau besuchte, die eine schillernde Persönlichkeit war und auf der Halbinsel Gibraltar lebte.
Aber das war nicht sicher. Jedenfalls wollte er ab und zu anrufen und stand, wenn es brenzlig wurde, auf dem Sprung zur Rückkehr.
Das allerdings wäre uns nicht recht gewesen.
Alles deutete also auf ein sehr außergewöhnliches und friedliches Weihnachtsfest hin.
Suko sah meinem Gesicht an, daß ich über etwas nachdachte.
»Hast du was, John?«
»Ja.«
»Und was?«
Ich zeigte beim Grinsen die Zähne. »Gewisse Zweifel, Alter…«
***
Lintock gehörte zu den Menschen, die nicht auf den Mund gefallen waren. Das konnte er sich in seinem Job nicht leisten. Als er jedoch die Leiche sah, da kam es ihm vor, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.
Denken konnte er zunächst nicht, weil er die Lage einfach als zu verrückt, abstrakt und irrational einstufte. Der Designer hatte ihn in sein sowieso schon verrücktes »Arbeitszimmer« geführt, wo bunte Särge unter dem hellen Licht standen und als etwas Besonderes gelten sollten. Natürlich hatte er angenommen, daß die Särge leer gewesen waren, doch er war eines Besseren belehrt worden.
Dieser hier nicht!
Er starrte in das Gesicht der Frau, das aussah, als wäre es von einem Bildhauer erschaffen worden. Man konnte es als gleichmäßig bezeichnen, und das lange Haar umgab ihren Kopf dermaßen egal, als hätten es Hände so drapiert.
Das war nicht das Schlimmste, denn trotz seines Schreckens fiel ihm ein, daß er die Frau kannte.
Sie hieß Francine Joy und war so etwas wie eine Kollegin von ihm.
Die meisten Zuschauer kannten sie vom Bildschirm her, denn ihre Sexberatersendungen waren berühmt. Man nannte sie die TV-Aphrodite, den Sex-Engel, Mrs. Erotik und hatte der Sendung zudem den Spitznamen Francines kleine Nacktmusik gegeben.
Jetzt war sie tot!
Lintock spürte auf seiner Stirn den Schweiß. Er lag dort in kleinen Perlen und hatte seine Oberlippe ebenfalls nicht verschont. Bisher war es ihm gelungen, den Besuch bei Leo ziemlich locker zu sehen.
Auf einmal überschlich ihn das alte Gefühl des Grauens, das sich in seinem Nacken festsetzte.
Was stimmte da nicht?
Er hörte hinter sich die leisen Schritte des Designers und traute sich nicht, den Kopf zu drehen, weil er den Eindruck hatte, alles falsch zu machen.
»Nun…?«
Lintock stieß die Luft aus. Er rang nach Worten, hatte sie endlich gefunden und fragte leise: »Wenn das ein Scherz sein soll, Leo, dann war es ein verdammter böser.«
»Wieso Scherz?«
Lintock drehte sich um.
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