0670 - Der Sarg-Designer
seinem BMW und griff zum Telefon. Er mußte seinen Freund John Sinclair erreichen.
In der Wohnung hob niemand ab, im Büro auch nicht. John steckte wahrscheinlich in der U-Bahn.
Suko stieg wieder aus. Die Neugierigen hatten sich zurückgezogen, ohne jedoch verschwunden zu sein. Plötzlich hatte jeder Zeit, wollte jeder schauen, und nur der Alfamann stand in der Nähe. Er sah aus, als hätte er den Glauben an die Welt verloren.
»Damit habe ich nicht gerechnet!« flüsterte er. »Verdammt noch mal, das ist ein Hammer.«
»Das Leben steckt voller Überraschungen. Sie wissen, wer ich bin?«
»Ja, ein Bulle.«
»So ähnlich. Dann darf ich mal um Ihren Ausweis bitten.«
»Können Sie haben.«
Suko merkte sich Namen und Anschrift, dann gab er das Dokument wieder zurück.
Zwei Frauen, die am frühen Morgen eine Leiche quer durch London transportierten. Wie paßte das zusammen? Suko bekam in diesen Fall einfach keine Logik hinein. Die Verletzungen am Hals wiesen darauf hin, daß die Tote erhängt worden war. Sollten dafür auch die beiden Personen die Verantwortung tragen?
Jedenfalls hatten sie es raffiniert angestellt. Bevor noch jemand hatte reagieren können, waren sie verschwunden. Einfach weggelaufen, ohne Rücksicht.
Suko drehte sich um, weil ihn der Alfamann ansprach. »Sie müssen mir glauben, ich habe die Frauen nicht gekannt. Ich… ich kenne keine Mörderinnen.«
»Woher wissen Sie denn, daß die beiden die Frau umgebracht haben?«
»Das liegt doch auf der Hand.«
»Dann sind Sie schlauer als ich.« Suko ließ den Knaben stehen und tauchte wieder in seinen BMW. Er rief bei der zuständigen Stelle im Yard an und gab das Kennzeichen durch.
»Stellt mal fest, wem der Wagen gehört.«
»Machen wir. Wie können wir Sie erreichen?«
»Ich rufe zurück.«
»Gut.«
Suko stieg wieder aus. Sein Blick fiel auf den immer noch dunklen Himmel. Er hatte keinen Beweis, doch er ahnte, daß mit diesem Fund ein Fall anlaufen würde, der es in sich hatte…
***
Wie so oft stand Leo Liberance an diesem Morgen sehr früh auf, obwohl das Wetter ihm, dem Kreativen, überhaupt nicht behagte. Er gehörte zu den Leuten, die Sonnenschein brauchten, um positive Energien entfalten zu können.
Regen, Kälte und Nebel machten ihn traurig. Da fühlte er sich für kreative Leistungen einfach nicht gut genug. Zudem hatte sich für diesen Morgen ein Fernsehmann angesagt, der unbedingt einen Filmbericht über ihn machen wollte, aber noch nicht mit dem Drehen begann und sich erst auf ein Vorgespräch verließ.
Leo hatte geduscht und stand vor seinem Kleiderschrank. Er dachte darüber nach, in welcher Kleidung er den Besucher empfangen sollte. Sein Outfit war eigentlich der dunkelrote Smoking mit dem weißen Hemd darunter und der kunstvoll geschlungenen schwarzen Schleife am Kragen. So kannten ihn die meisten Kunden, wenn sie bei ihm einkauften, das heißt, so viele waren es noch nicht, weil die Traditionen in diesem Land einfach nicht so leicht aufzubrechen waren.
Da würde er noch eine Menge Arbeit investieren müssen, um die von ihrem jahrhundertealten Denken zu befreien. Um dieses Schema zu durchbrechen, konnte ihm ein gut gemachter TV-Bericht sehr behilflich sein. Denn London war in den letzten beiden Jahren zu einer Metropole geworden, von der wieder Impulse ausgingen, sei es in der Mode, der Musik oder der Kunst. Warum sollte nicht sein Design Furore machen. Da war Werbung eben alles.
Bisher besaß er nur einen sehr kleinen Kundenkreis und in einer gewissen Weise auch exklusiv, nur konnte er davon sein doch sehr aufwendiges Leben auf die Dauer nicht finanzieren, und als »Freier« wollte er auch nicht mehr für andere Agenturen arbeiten. Er hatte genügend eigene Ideen, um sie vermarkten zu können.
Leo lebte in einem Haus, das er durch Zufall hatte kaufen können.
Ein Bekannter von ihm war an der tückischen Zivilisationskrankheit AIDS gestorben. Dessen Schwester hatte das Haus verkauft und Leo einen fairen Preis gemacht.
Und es war ein Haus mit Keller. Das zählte, denn viele englische Häuser besaßen ihn nicht.
Leo stand vor dem Spiegel und wühlte mit den Fingern sein dunkelbraunes Haar auf. Er fand, daß Schatten auf seinem Gesicht lagen, die ihn alt machten.
Dabei war er erst neunundzwanzig. Das richtige Leben lag noch vor ihm.
Doch Leo sah es anders. Er fürchtete sich vor Depressionen, vor Einbrüchen, vor dem Zeitpunkt, wo ihm nichts mehr einfiel – und vor dem Zittern der Hände. Damit fing es meist an.
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