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0676 - Die Höhle des Grauens

0676 - Die Höhle des Grauens

Titel: 0676 - Die Höhle des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Spitzel. Die Spione haben sie mit Me Xiangs Hilfe unter Drogen gesetzt. In seinen Gedanken sah er schreckliche Szenarien vor sich. Einen gesprengten Staudamm, Flutwellen, die ganze Landstriche unter sich begruben, Chaos in der Bevölkerung und die Erniedrigung der Volksrepublik in den Medien der westlichen Welt. Vor allem aber sah er den großen Vorsitzenden der Partei (möge er zehntausend Jahre leben, fügte Lei Feng hastig hinzu), der die Frage stellte, welches kleine Rädchen im großen Kontrollmechanismus des Staates versagt hatte. Die Antwort darauf lag auf der Hand und war ebenso sicher wie die dreißig Jahre, die er im kalten Norden mit dem Schnitzen von Holzspielzeug verbringen würde.
    Lei Feng griff nach dem altertümlich aussehenden Telefon, das auf einem der Schreibtische stand. Er wollte die Nummer seines Führungsoffiziers wählen, aber eine unfreundlich klingende Frauenstimme, die ihm aus dem Hörer entgegenschallte, kam ihm zuvor.
    »Nennen Sie Namen und Dienststelle«, verlangte sie.
    »Mein Name ist Lei Feng. Ich habe keine Dienststelle, muß aber dringend telefonieren.«
    »Sie sind nicht berechtigt, diesen Apparat zu benutzen. Legen Sie auf.«
    »Ich weiß«, entgegnete der Spitzel. »Dies ist ein Notfall. Es ist kein Polizist hier, der mir die Dienststelle nennen kann…«
    »Dann finden Sie einen.«
    Die Stimme war unerbittlich. Lei Feng fuhr sich mit der Hand durch die Haare, während er verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, ihre Bürokratenseele zu erweichen.
    »Hören Sie mir bitte zu. Hier ist etwas Furchtbares passiert. Ich muß einem Offizier darüber Meldung erstatten, aber das kann ich nur, wenn ich mit ihm telefoniere. Es ist wirklich sehr, sehr dringend. Bitte machen Sie eine Ausnahme.«
    »Einen Moment…«
    Es wurde still am anderen Ende der Leitung, Lei Feng nutzte die Zeit, um seinen Flüssigkeitsverlust mit dem lauwarmen, viel zu starken Tee eines Polizisten auszugleichen.
    »Sind Sie noch dran?« fragte die Frauenstimme nach einer Minute.
    »Natürlich.«
    »Ich habe Ihre Situation mit meinem Vorgesetzten besprochen. Wegen des möglichen Mißbrauchs einer Amtsleitung kann ich Sie keinen Anruf tätigen lassen. Wenn Sie ein dringendes Anliegen haben, sollten Sie entweder einen Polizisten aufsuchen, oder den Leiter Ihrer Arbeitseinheit informieren, der sich dann an uns wenden kann. Legen Sie jetzt auf, sonst machen Sie sich strafbar.«
    Lei Feng warf wütend den Hörer auf die Gabel. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, in einem Land zu leben, in dem es Telefonzellen gab. Er blieb einen Moment unsicher in der Polizeistation stehen, dann ging er mit plötzlicher Entschlossenheit zu einem der Uniformierten und zog ihm die Pistole aus dem Gürtel.
    Der Spitzel verließ die Polizeistation. Er war gerade noch rechtzeitig in dem Dorf eingetroffen, um zu sehen, wie die Spione und ihre Komplizin in einem Boot den Fluß hinunterfuhren. Da er die Gegend gut kannte, wußte er, daß es nur wenige Punkte gab, an denen sie gefahrlos anlegen konnten.
    Lei Feng sprang in den Geländewagen und ließ den Motor an. Wenn er die schmale Uferstraße benutzte, würde er lange vor den Fremden an diesen Anlegestellen sein und sie dort erwarten. Er war auf sich allein gestellt, konnte sich nicht mehr auf die Hilfe seines Führungsoffiziers verlassen. Nachdenklich legte der Spitzel seine Hände auf das von der Sonne erhitzte Plastiklenkrad. So viel war in den letzten Stunden passiert. Eigentlich wollte er doch nicht mehr, als seinem Land dienen und dabei einen gewissen persönlichen Vorteil erlangen. Und doch war er an einen Punkt gekommen, an dem er bereit war, drei Menschen zu töten, um sich selbst zu retten. War diese Brutalität immer schon Teil seiner Persönlichkeit gewesen, oder war sie durch die bizarren Umstände dieses Tages ausgelöst worden?
    Lei Feng schüttelte den Kopf. Das waren Fragen, mit denen er sich später beschäftigen konnte. Seine selbst gewählte Aufgabe stand klar vor ihm: Die Spione finden und exekutieren.
    Der Spitzel trat das Gaspedal durch.
    ***
    Närrin, schalt sich die dritte Schwester, als sie Zamorras Gesichtsausdruck sah. Mit ihren einfach so dahingesprochenen Worten hatte sie ihm verraten, daß sie seine Gedanken lesen konnte. Wenn er sich jetzt von ihr abwandte, war wieder alles verloren und die Mühen, die sie auf sich genommen hatte, vergebens.
    Aber der Zauberer reagierte nicht. Die Überraschung verschwand aus seinem Gesicht, und er ging weiter,

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