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0676 - Die Höhle des Grauens

0676 - Die Höhle des Grauens

Titel: 0676 - Die Höhle des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Schlüssel aus der Gürteltasche nahm und sie ihm in die Hand drückte. Der Polizist verneigte sich kurz, als habe er einen unhörbaren Befehl erhalten, ging zu Gryfs Zellentür und schloß auf. Er zog die Gitterstäbe zur Seite und blieb abwartend stehen.
    »Danke«, sagte der Druide freundlich, sah dabei jedoch die junge Chinesin an. Wenn sie ihn verstanden hatte, ließ sie es sich nicht anmerken, denn sie blieb reglos stehen und beachtete ihn nicht weiter.
    Dann eben nicht, dachte Gryf und lud sich mit einem Seufzer den bewußtlosen Zamorra auf die Schultern. Er taumelte unter dem ungewohnten Gewicht, fand dann aber seine Balance wieder und trat aus der Zelle. Die Chinesin ging wortlos voran und hielt ihm die Tür des Zellentrakts auf, während Gryf einen letzten Blick auf den erstarrten Polizisten warf.
    »Ich kann nicht behaupten, daß ich traurig über diesen Abschied bin«, murmelte er und zwängte sich mit seiner menschlichen Last vorsichtig durch die Tür.
    Vor ihm lag eine kleine Wachstube, die seinen Eindruck, auf einem Dorfrevier gelandet zu sein, bestätigte. Die gemauerten Wände waren abgesehen von einigen grellbunten Billigdrucken und einem Playboy-Kalender aus dem Jahr 1987 völlig kahl. Auf den beiden wackligen Holztischen standen uralte Schreibmaschinen und die unvermeidlichen Einmachgläser voll dunklem Tee, die Gryf auch bereits bei den Bauarbeitern bemerkt hatte. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch und Zwiebeln. Wohl das einzige, was diese Polizeistation von hunderttausend anderen in der Volksrepublik unterschied, waren die vier Polizisten, die an einer der Wände standen und mit leeren Augen ins Nichts starrten.
    Gryf unterdrückte den Impuls, mit seinen Druidenkräften nach dem Geist der Chinesin zu tasten, die anscheinend für diesen ungewöhnlichen Anblick verantwortlich war. Er spürte, daß seine Para-Fähigkeiten immer noch nicht zurückgekehrt waren.
    Eins nach dem anderen, dachte er. Zuerst mußte er dafür sorgen, daß er und Zamorra an einen halbwegs sicheren Ort gelangten. Danach würde sich der Rest schon ergeben.
    Hinter ihm zog die Chinesin die Tür des Zellentrakts laut knarrend zu. Gryf drehte sich zu ihr um und spürte ein unangenehmes Stechen in der Magengegend. Die Unbekannte hatte die Pistole seines Wärters an sich genommen. Sie hielt die Waffe wie einen Fremdkörper in der Hand, so als wisse sie nicht, was sie damit anfangen sollte. Dem Druiden entging nicht, daß die Pistole immer noch entsichert war.
    Er schien ohne Umwege vom sprichwörtlichen Regen in die Traufe geraten zu sein.
    Die Chinesin ging zum Eingang der Polizeiwache und öffnete die Tür. Als Gryf sich nicht sofort in Bewegung setzte, hob sie drohend die Pistole. Dabei schien sie nicht zu merken, daß sie die Waffe in einem so ungünstigen Winkel festhielt, daß der Lauf auf den Boden zeigte. Natürlich, erkannte Gryf plötzlich, sie kopiert nur die Drohgebärde des Polizisten. Das Prinzip, nach dem eine Schußwaffe funktionierte, schien ihr völlig unbekannt zu sein und so begriff sie auch nicht, daß eine Kugel durch den Lauf nach draußen befördert wurde.
    Gryf wußte, daß seine Idee eigentlich extrem unwahrscheinlich war. Vermutlich gab es auf dem ganzen Planeten nur noch einige Stämme in den Tiefen Südamerikas, die so wenig Ahnung von Schußwaffen hatten wie die Frau, die vor ihm stand.
    Es gab nur zwei Alternativen, mit denen sich diese Frage logisch beantworten ließ: Entweder war die Chinesin unter extrem abgeschotteten Umständen aufgewachsen, oder sie kam aus einer anderen Zeit.
    »Geh raus«, unterbrach sie seine Mutmaßungen.
    »Du sprichst meine Sprache?« entgegnete er überrascht.
    Sie wedelte mit der Pistole und richtete den Lauf schließlich auf sich selbst.
    »Geh raus«, wiederholte sie.
    Der Druide nickte beschwichtigend. »Schon gut, aber an deiner Stelle würde ich jetzt nicht abdrücken.«
    Für einen Moment kam ihm der Gedanke, die Chinesin zu überwältigen und zu verschwinden, aber dann wurde ihm klar, daß er damit auch nicht weiterkam. Er wäre nur wieder in einem Land, dessen Sprache ihm unbekannt war, auf der Flucht gewesen, zusätzlich gehandicapt durch den bewußtlosen Zamorra, dessen Gewicht auf seinen Schultern mit jeder Minute größer zu werden schien. Da war es besser, sich auf die Unbekannte und ihre seltsamen Kräfte einzulassen. So lange sie glaubte, daß ihn ihre Drohungen einschüchterten, konnte er sich relativ sicher fühlen - und versuchen, das Rätsel

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