0677 - Das Haus der Hyänen
Füße schleiften über den harten Schnee. Die Augen brannten, entließen aber keine Tränen, und sie hielt den Kopf gesenkt. Stumm standen die alten Grabsteine als Zeugen einer längst vergessenen Zeit auf den Gräbern. An den Büschen und kleinen Bäumen hing kaum ein Blatt. Der klirrende Frost hatte sie alle getötet, und Jana kam sich vor, als würde sie durch eine fremde Totenlandschaft wandern. Nur das Knirschen des Schnees begleitete sie, und der Druck in ihrem Magen wollte einfach nicht weichen.
Sie ging wie eine Schlafwandlerin, schaute nicht nach rechts und links.
Manchmal strich eine Windbö über das Gelände. Dann wirbelte sie einen kleinen Schneehaufen auf, der sich rasch wieder senkte. Die Kälte malträtierte das Gesicht der einsamen Frau, die ihre Schritte verlangsamte, als sie sich dem Ziel näherte.
Ein Viereck im Boden, das darauf wartete, zugeschüttet zu werden.
Rechts lag die aufgewühlte Erde, ein knochenhart gefrorener Hügel, in dessen Rillen Eis glitzerte.
Dann sah sie ihren Mann.
Verkrümmt lag seine Leiche zwischen denen der beiden Hyänen und inmitten der Sargtrümmer. Sie konnte sich noch immer keinen Reim darauf machen, weshalb gerade ihr Mann auf eine so furchtbare Art und Weise gestorben war. Er hatte nur seine Pflicht getan und war einer Arbeit nachgegangen, die kaum ein anderer machen wollte.
Jetzt lag er in der Grube…
Sie stand am Grab und weinte. Am liebsten hätte sie die steifgefrorene Leiche aus der Grube geholt und weggetragen, das aber traute sie sich nicht zu.
Sie konnte nur hoffen, dass sein Tod gerächt wurde, dass die beiden Männer es schafften, den Mörder zu finden, wobei sie davon überzeugt war, dass es die Hyänen zwar getan hatten, hinter ihnen jedoch eine geheimnisvolle Kraft stehen musste, die sie nicht kannte, wohl aber von Oleg erkannt worden war, als er noch lebte, denn sonst hätte sich sein Verhalten nicht so stark verändert.
Sie sprach mit bebenden Lippen ein kurzes Gebet und hoffte auch, dass die Seele ihres Mannes den ewigen Frieden gefunden hatte. Alles andere wäre furchtbar gewesen.
Trotz des Sonnenscheins entkam Jana Jaschin der Kälte nicht. Sie kroch durch den Mantel gegen ihre Haut, und in der Nase spürte sie kaum noch Leben.
Zu lange durfte sie nicht am Grab stehenbleiben, sonst bekam sie Erfrierungen ab. Sie hätte sich jetzt frische Blumen gewünscht, um sie als einen letzten Gruß in das Grab werfen zu können. Auf all das musste sie verzichten.
»Bald sind wir wieder vereint, Oleg!« hauchte sie über das offene Grab hinweg. »Bald…«
Dann ging sie weg, denn sie konnte den starren Blick der leblosen Hyänenaugen einfach nicht ertragen.
Als einsames Wesen schritt sie über das Feld der Toten. Deutlich hob sich ihre Gestalt von der weißen Unterlage ab. Der Schnee war an vielen Stellen zu Eis geworden und hatte eine sehr glatte Schicht gebildet, auf der sie leicht ausrutschen konnte.
Manchmal rieselte vereister Schnee nach unten, wenn sie mit den Schultern an den beladenen Zweigen der Büsche entlangstreifte. Sie war allein, was sie nicht wollte. Eine plötzliche Todessehnsucht überkam sie, vermengt mit dem sicheren Wissen, dass sie ihrem Gatten bald folgen und sie ihn in einer anderen Welt wiedertreffen würde.
Im Haus war es warm. Der Kamin strahlte die Hitze ab und verwandelte sie zu einer dumpfen Glocke.
Jana fühlte sich müde, ausgelaugt und trotzdem innerlich erregt. Ihre Beine waren schwer, als würden Gewichte daran hängen. Sie setzte sich auf ihren Stammplatz am Ofen und dachte daran, dass Oleg ihr am Abend immer gegenübergesessen hatte, um mit ihr zu sprechen. Jetzt war alles still…, Nur das Holz im Kamin knisterte oder knallte dann und wann. Dann wirbelten auch Funken auf, die in der langen Röhre verschwanden.
Janas Blick war gläsern geworden. Sie hatte den Kopf aufgestützt, und die Gedanken wollten ihr nicht mehr folgen, denn die Müdigkeit umschloss ihren Körper.
Am Tisch schlief sie ein. Mit der Stirn sank sie auf ihre Arme, die sie angewinkelt auf den Tisch gelegt hatte. Der Schlaf kam automatisch, und sie dachte an nichts mehr. Er zog sie hinein in die andere Welt, wo ihre alltäglichen Sorgen nicht mehr existent waren.
Tage im Winter sind kurz. Jana Jaschin erwachte, als sich längst die Dunkelheit über das Land gelegt hatte. Sie fror plötzlich, schaute zum Kamin und stellte mit Entsetzen fest, dass die Flammen kaum noch vorhanden waren.
So rasch wie möglich stand sie auf, nahm neue
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