068 - Haus des Schreckens
verließ das Zimmer und ging zu Miß Seymour, die hinter ihrem Schreibtisch saß und ihr freundlich zulächelte.
„Ich habe einige Fragen", sagte Coco. „Ist Madame in ihrem Zimmer?"
Miß Seymour schüttelte den Kopf.
„Sie ist in ihren Privaträumen", antwortete sie. „Am Nachmittag legt sie sich immer für zwei Stunden hin."
Das hatte Coco wissen wollen. Sie ging langsam auf Miß Seymour zu und blickte ihr starr in die Augen. Miß Seymours Blick wurde glasig. Sie saß wie eine Statue da. Coco hob die rechte Hand und hielt sie vor Miß Seymours Gesicht. Die junge Frau bewegte sich nicht mehr. Coco hatte sie hypnotisiert.
„Sie sagen mir jetzt die Wahrheit, Miß Seymour!" sagte Coco. „Und sobald ich das Zimmer verlassen habe, vergessen Sie, daß ich hier gewesen bin. Haben Sie mich verstanden?"
„Ich habe Sie verstanden", sagte Miß Seymour tonlos.
„Was wissen Sie über den gestrigen Vorfall mit Marsha Green?"
„Nur, was mir Madame erzählte. Ich war nicht dabei. Marsha soll Felix einen unsittlichen Antrag gemacht haben, den er empört ablehnte. Madame ertappte die beiden - und befahl Marsha, daß sie augenblicklich das College verlassen sollte."
„Wann war das?"
„Kurz nach dreiundzwanzig Uhr", antwortete Miß Seymour.
„Was wissen Sie noch?"
„Heute diktierte mir Madame einen Brief an Marshas Vater, in dem sie die Gründe für ihre Entlassung klarlegte. Mehr weiß ich nicht. Madame sprach heute zu den Studentinnen und erwähnte den gestrigen Vorfall. Sie appellierte an die Mädchen, daß sie sich vernünftig und gesittet benehmen sollten."
„Erzählen Sie mir alles, was Sie über Madame Lelouch wissen!"
„Sie ist siebenundfünfzig Jahre alt", sagte Miß Seymour. „Ihr Mann starb vor zehn Jahren. Seither führt sie das College. Ihr Mann war Franzose, und alle nannten sie nur Madame. Sie hängt abgöttisch an ihrem Sohn, vor allem seit dem Zwischenfall vor einem Jahr."
„Was geschah da?"
„Felix verliebte sich in ein Mädchen. Hals über Kopf verließ er das College und war fast drei Monate verschwunden. Dann kehrte er völlig gebrochen zurück."
„Wer war das Mädchen?"
„Das weiß ich nicht und habe sie nie gesehen."
„Wie war Felix, bevor er dieses Mädchen kennengelernt hatte?"
„Das kann ich nicht beurteilen, da ich erst seit einem Jahr hier arbeite. Zwei Tage nach meinem Eintritt verschwand Felix."
„Hat Felix mit irgendwelchen Mädchen aus dem College ein Verhältnis?"
„Nein das ist ganz ausgeschlossen. Madame würde es niemals zulassen."
„Was wissen Sie über Nora Russels Verschwinden?"
„Nichts. Überhaupt nichts."
Da komme ich nicht weiter, dachte Coco. „Fertigen Sie mir bitte eine Aufstellung von allen Studentinnen und Angestellten an, mit Adressen und Telefonnummern!"
Miß Seymour holte eine Mappe aus einem Schrank, spannte ein Blatt Papier in die Schreibmaschine ein und begann zu schreiben. Fünf Minuten später hatte Coco die Aufstellung, die sie in ihre Handtasche steckte.
Coco wandte sich zur Tür. Sie blieb stehen und strich sich über die Lippen.
„Noch etwas, Miß Seymour", sagte sie. „Wohnen Felix und seine Mutter ständig hier im College, oder haben die beiden noch andere Wohnungen"
„Madame hat eine Wohnung in der Avondale Road 23 und ein Landhaus in West Wickham, Broadfield Road 246. Gelegentlich übernachtet Madame in der Londoner Wohnung. Das Landhaus benützt sie kaum."
„Danke." sagte Coco. „Kann man Ihr Telefon abhören?"
„Nein, das ist nicht möglich."
Coco hob den Hörer ab und setzte sich auf den Schreibtisch. Sie wählte die Nummer der Jugendstilvilla.
„Was ist mit John Duncan und Bernie Jones?"
„Mr. Duncan ist so eine Art Mädchen für alles. Er ist für das Haus zuständig. Mr. Jones ist Madames Chauffeur."
Coco nickte.
„Hallo, Dorian!" sagte sie, als sich der Dämonenkiller meldete.
Sie gab Dorian bekannt, was sie alles bis jetzt erfahren hatte. Er ließ sich von ihr die Adresse von Marsha Greens Vater und von dem Landhaus der Madame geben.
„Sobald ich etwas Neues erfahre, melde ich mich wieder", sagte Coco und legte den Hörer auf.
Sie ging auf ihr Zimmer, schlüpfte in einen knapp sitzenden, scharlachroten Bikini, zog sich einen Bademantel über, schlüpfte in Sandalen und hängte sich eine Badetasche um.
Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie noch einen Blick in den Garten. Sie beugte sich weiter vor, als sie Helen Corby sah, die sich mit Felix unterhielt. Helen lächelte glücklich und
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