068 - Schreckensgondel der Schneehexe
Verlust des Kopfes… die rasende Fahrt den Berg hinauf und nun die Entdeckung dieses Hauses… Häuser, Gebäude überhaupt, waren Sinnbilder der
Geborgenheit. Die suchte sie. »Ich hab… den Verstand verloren«, wisperte sie,
ohne daß es ihr bewußt wurde. »Ich stelle mir alles bloß vor! Nichts von dem,
was, ich bisher erlebt habe, ist wirklich passiert… Wahnbilder einer…
Verrückten!« Auch dieses Haus konnte nicht Wirklichkeit sein. Zimmer und Flur
strahlten eine Atmosphäre des Grauens aus, und die gespenstische Stille, die
ringsum herrschte, war schließlich auch unnormal.
Christel
Burger konnte sich nicht daran erinnern, ihre eigenen Schritte auf dem rauhen,
steinigen Boden gehört zu haben. Das lautlose Öffnen der Tür paßte mit in das
Bild einer Halluzination. Da stieß sie sie kurzerhand ruckartig auf. Dies
geschah mit solcher Wucht, daß die Tür zurückflog und die Wand traf. Es hätte
einen Knall geben müssen. Aber es geschah wiederum gespenstisch lautlos.
Schrill dagegen war der Schrei, der über ihre Lippen kam. Das Zimmer vor ihr
war dunkel. Es handelte sich um einen Schlafraum, in dem ein schmaler, hoher
Kleiderschrank und ein Bett standen. Aber das war noch nicht alles. An der Wand
daneben lehnten in Reih und Glied, mehrere Skelette. Die fahlen Knochen
schimmerten im Dunkeln und setzten sich in dem Moment, als ihr Schrei durchs
Haus gellte, auf sie zu in Bewegung…
●
Der
Wahn ging weiter!
»Wann
nimmt das alles ein Ende?« Sie schrie es heraus, während sie sich herumwarf und
durch den Korridor zur Tür lief, um sich vor den bleichen Knochenmännern in
Sicherheit zu bringen. Die waren hinter ihr her und kamen einer nach dem andern
aus dem Schlafzimmer. Christel Burger schlug die Klinke herab und wollte die
Tür aufreißen. Sie war abgesperrt!
Die
Bedienung wirbelte herum. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf die Skelette,
die sich lautlos näherten. Die Hände waren gierig nach ihr ausgestreckt.
Christel Burger preßte sich mit dem Rücken gegen die Tür, warf den Kopf hin und
her und schrie wie von Sinnen. Abwehrend streckte sie die Hände aus und schloß
die Augen. Die Skelette waren ihr ganz nahe… jetzt mußten sie sie berühren.
Zitternd erwartete sie die Berührung der Unheimlichen. Wie ein Hauch hörte sie
da die Stimme… »Warum schreist du so, mein Kind? Es ist unnötig, glaub es mir…
Hier ist niemand, der dich hören kann. In der Höhle der Schneehexe ist keiner,
der dir beistehen kann. Nur ich… « Christel Burger riß die Augen auf und
glaubte, ihrem Blick nicht trauen zu können. Die Skelette vor ihr waren
verschwunden… der Korridor, wo war er? Die dunklen Wände, die niedrige Decke,
die Tür zum Schlafzimmer… sie waren nicht mehr vorhanden!
Statt
dessen sah sie jetzt schnee- und eisbedeckte Wände. Sie war in einer Höhle, die
Luft war eisig und schnitt wie ein Messer in ihre Haut. Christel Burger starrte
in das kalte Zwielicht und suchte vergebens nach den Unheimlichen, die eben
noch auf sie zugekommen waren.
»Wer…
spricht da… zu mir?« kam es tonlos über ihre Lippen. »Wer… bist du?«
» Flarnarda.«
Die
Stimme drang aus der Luft zu ihr, und Christel Burger blickte in das
pulsierende Zwielicht.
Sie
verstand überhaupt nichts mehr. »Ein seltsamer Name«, wisperte sie. »Vor allem…
ein sehr alter Name. Man kennt ihn in der Zeit, in der du lebst… kaum
noch… man hat den Namen und mich längst vergessen… aber ich bin nicht tot…
mein Geist lebt in dieser Schneehöhle weiter… aber bald wird er auch wieder
außerhalb wirken, und man wird sich an Flarnarda erinnern.« Die Stimme klang
leise und war doch gut zu verstehen. »Wer bist du?« wollte Christel Burger
wissen, die sich auf dies alles keinen Reim machen konnte.
»Ich
bin die Schneehexe .«
Zwischen
den Augen der jungen Österreicherin bildete sich eine Falte. »Ich habe nie von
einer Schneehexe gehört.«
»So
nannte man mich… damals… das liegt lange zurück… als der Ort gegründet wurde…
zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts… da gab es mich schon… als die Walser
kamen, war ich dabei… eine einfache, zähe Frau, die sich auf das Heilen von
Tieren und Menschen verstand… das Leben war hart… die Siedler führten ein
karges, ärmliches Leben… sie lebten vom Ertrag der Milchwirtschaft und der
Viehzucht. Das war ihr einziger Reichtum… einer wollte mehr sein als die
anderen… Mißgunst und Neid sind der Anfang allen Lasters. Sie führen Haß und
Kriege
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