0684 - Wald der toten Geister
Oberlippe wuchs ein buschiger Bart. Das Leben hatte tiefe Furchen in seine Haut gegraben. Die Augen blickten müde und abweisend zugleich. »Da sind genügend Plätze frei. Ich will allein bleiben.«
Meine Hand lag bereits auf der Lehne. »Aber Ihretwegen bin ich gekommen.«
Er schaute für einen Moment in den Regen. In der Ferne zeigte der Himmel einen grauen Streifen.
Es begann sich aufzuhellen, ein gutes Zeichen. »Watkins hat schon reagiert und Sie geschickt wie?«
»Nein.«
»Dann verschwinden Sie.«
Ich setzte mich trotzdem.
Sein Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an. Der Mund zog sich nach unten. »Sag mal, hast du Bohnen in den Ohren, Mann? Ich habe gesagt, du sollst verschwinden.«
»Einen Moment.« Ich hielt ihm meinen Ausweis entgegen. »Kennen Sie das Papier?«
Er starrte darauf. Seine Augenbrauen hoben und senkten sich. Dann räusperte er sich die Kehle frei.
»Ein Bulle?«
»Habe ich vier Beine?«
Er achtete nicht darauf. »Sogar vom Yard. Ich muss schon sagen, dass Watkins ein hartes Geschütz auffährt.«
»Wieso immer Watkins?«
»Von allein sind Sie doch nicht gekommen. Hat er Angst um seine beschissene Ladung?«
Ich hob die Schultern. »Kommt darauf an, was Sie geladen haben. Aber das ist nicht das Thema.«
Die Bedienung erschien und erkundigte sich nach meinen Wünschen. Ich bestellte ein Wasser, Evans nahm Kaffee. Seine Augen glitzerten, als hätte jemand Eis in die Pupillen gestreut. »Was also ist los, Mister? Weshalb tanzen Sie hier an?«
»Das kann ich Ihnen sagen. Ich muss mit Ihnen reden. Dabei geht es nur sekundär um Ihre Kündigung.«
»Worum denn?«
Ich wiegte den Kopf. »Man könnte von einer Familienangelegenheit sprechen.«
Er dachte nach und malte mit der Fingerspitze Kreise auf die Tischdecke. »Sagen Sie nicht, dass es um Brenda geht.«
»Auch.«
»Das ist seit fast zwanzig Jahren vorbei.«
»Es kommt aber wieder hoch.«
»Will Sie noch Geld?«
»Nein, das hat sie wohl nicht nötig.« Er lachte scharf und bitter auf. »Wie Recht Sie haben, Mister. Brenda führt ein tolles Leben. Ich gönne es ihr sogar, wir passten einfach nicht zusammen.«
»Und Mike?«
Seine Augenbrauen schnellten hoch. Da mein Wasser serviert wurde, hatte er Zeit zum Nachdenken.
Ich zahlte auch sofort, dann sagte er mit leiser Stimme: »Mike ist tot. Das liegt schon fast ein Jahr zurück. Mehr sage ich dazu nicht.«
»Und wenn er gesehen wurde?« Evans räusperte sich. »Der Tote?«
»Richtig.«
»Das ist doch Blödsinn! Wer hat Ihnen denn das erzählt?« Er schüttelte den Kopf. »Absoluter Quatsch!«
Okay, er hatte widersprochen, ich hatte auch nichts anderes erwartet, aber Phil Evans war doch nicht so geschockt oder überrascht gewesen, wie ich es angenommen hatte. Mir schien es, als hätte er bereits von der ungewöhnlichen Rückkehr seines Sohnes erfahren. Hatte er deshalb womöglich gekündigt?
»Mike wurde gesehen.«
»Als Geist, wie?«
»Nein, völlig normal. Und von Ihrer ehemaligen Frau, die deshalb einen Schock erlitt.«
Er strich über sein Kinn. Ich hörte, wie die Bartstoppeln kratzten. Dann griente er. »Ich hatte ja nie eine sehr hohe Meinung von den Bullen, die ist jetzt noch mehr abgesackt.«
»Das ist mir egal. Aber Mike gibt es, und Sie wissen das auch.«
»Tatsächlich? Woher denn?«
»Es hängt meiner Ansicht nach mit ihrer plötzlichen und ungewöhnlichen Kündigung zusammen. Sie erfolgte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. So kann man nicht kündigen.«
»Ich schon.«
»Wegen Mike.«
»Lassen Sie mich damit in Ruhe.«
»Werde ich nicht, denn ich bin davon überzeugt, dass Sie mehr wissen, als Sie zugeben. Schließlich haben Sie Mike vor seinem Tod noch gesehen, oder etwa nicht?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Gefühl.«
»Abschminken, Mister, einfach abschminken. Ich habe nichts gesehen. Verstanden?« Er sprach aggressiver, wollte mich loswerden, damit ich nicht weiter nachhakte. »Wenn Sie sich selbst einen Gefallen tun wollen, dann stehen Sie auf und lassen mich hier hocken.«
»Ich werde bleiben.«
»Finden Sie meine Gesellschaft so toll?«
Ich lehnte mich zurück und trank einen Schluck Wasser. »Wovor haben Sie Angst, Mr. Evans?«
»Vor nichts, wenn Sie es genau wissen wollen.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.« Ich stellte das Glas ab. »Jeder Mensch hat Angst.«
»Aber nicht, wenn er jahrelang mit Ladungen unterwegs ist, die den schnellen Tod bedeuten können.«
»Das ehrt Sie. Ich bewundere Menschen wie Sie. Ich könnte das
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