069 - Der Vampir von Venedig
derartig kompliziert und schwer vorgestellt. Hunter hatte sie inzwischen an einer Ankerstange vertäut und ging mit dem jungen Ehepaar zurück ins Principe. Ihm wurde immer klarer, daß die Frau sich offensichtlich dagegen sträubte. Sie schien keine Angst mehr zu haben. Die Fronten hatten gewechselt. Jetzt war es der junge Ehemann, der sich immer wieder verstohlen nach etwaigen Verfolgern umdrehte.
„ Ich begreife nicht, warum der Gondoliere an Land gesprungen ist", sagte Siegfried Gruber kopfschüttelnd. „Hatte er Angst vor Ihnen, Mr. Hunter?"
„Keine Ahnung", schwindelte der Dämonenkiller. „Vielleicht hatte er die Gondel gestohlen."
„Ich will noch nicht zurück ins Hotel", ließ Christa sich vernehmen. „Im Zimmer werde ich ersticken."
„Aber sicher sein", sagte Dorian Hunter.
„Sicher sein vor wem, Mr. Hunter?" Sie sah ihn mokant an. „Wollen Sie uns etwas einreden? Wir können schon allein auf uns aufpassen."
„Ist irgend etwas passiert?" Hunter wandte sich dem jungen Ehemann zu.
„Meine Frau ist überfallen worden", antwortete Siegfried Gruber.
„Ich möchte nichts mehr davon hören, bitte!" Christa Gruber sah ihren Mann gereizt an.
„War es dieser Fremde?" fragte Hunter weiter, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte.
„Ich habe das alles nur geträumt", meinte die junge Frau leichthin. Nein, sie wollte über diesen Zwischenfall nicht reden. Verdrängte sie nur die Erinnerung daran? Hunter kam ein schrecklicher Verdacht.
„Sind Sie verletzt worden, Frau Gruber?" Dorian Hunter musterte unwillkürlich ihren Hals. Das leichte Sommerkleid war tief ausgeschnitten, um ihren Hals aber hatte sie leider einen Schal geschlungen; er konnte nicht ausmachen, ob er zwei kleine Bißwunden verdecken sollte. Falls das so war, befand sich der junge Mann in höchster Lebensgefahr.
„Nein, sie ist unverletzt geblieben", sagte Siegfried Gruber. „Hören Sie, Mr. Hunter, wer ist dieser Fremde? Was ist mit ihm los?"
Sie hatten inzwischen das Principe erreicht und nahmen Platz in der kleinen Aufenthaltshalle rechts vom Empfang. Hunter bestellte Drinks und zündete sich eine Zigarette an. Er fragte sich, ob er dem jungen Paar die ganze Wahrheit sagen durfte. Es ging schließlich um Dinge, an die ein sogenannter aufgeklärter Mensch unmöglich glauben konnte.
„Ich will Sie nicht unnötig ängstigen", schickte er voraus, nachdem die Drinks serviert worden waren, „aber es könnte durchaus sein, daß dieser Mann wahnsinnig ist."
„Das ist doch lächerlich, Mr. Hunter!" Christa Gruber sah den Dämonenkiller spöttisch an.
„Und wenn es so ist, Mr. Hunter, warum ist er dann ausgerechnet hinter uns her?"
„Und warum kümmert die Polizei sich dann nicht um ihn?" fügte Christa Gruber hinzu. „Reden Sie sich da nicht etwas ein, Mr. Hunter?"
Der Dämonenkiller wußte jetzt, daß die junge Frau bereits im Bann dieses unheimlichen und blutsaugenden Vampirs stand. Vielleicht war sie von dieser Schreckenserscheinung noch nicht gebissen worden, doch er hatte sie bereits auf geheimnisvolle Art und Weise an sich gebunden. Magische Hypnose war ein Mittel, um kommende Opfer bereits in den Zustand der Erwartung zu versetzen. Dorian Hunter griff wie unabsichtlich nach einer gnostischen Gemme, die er an einer Silberkette um den Hals trug. Sie bestand aus einem Halbedelstein und zeigte in feinster Arbeit eine Schlange, die sich in den Schwanz biß. Mit dieser Gemme war es Hunter möglich, Dämonen zu erkennen. Darüber hinaus ließen sich mit dieser gnostischen Gemme auch Dämonen abwehren und magische Hypnosen lösen.
Hunter nahm die Gemme in die rechte Hand. Er spielte mit ihr und sorgte dafür, daß sie die Aufmerksamkeit der jungen Frau erregte.
„Warum beantworten Sie meine Frage nicht?" war Christas Stimme zu hören. Sie klang bereits ein wenig nachdenklicher, war nicht mehr so aggressiv im Ton. Sie hatte die magische Gemme bemerkt und ließ sie nicht mehr aus den Augen. Hunter ließ sie pendeln und konzentrierte sich ganz auf die junge Deutsche.
Siegfried Gruber merkte, daß hier etwas Seltsames zwischen seiner Frau und dem Engländer vorging. Er beugte sich vor, atmete schnell und flach, sah, daß der Blick seiner Frau von der pendelnden Gemme nicht mehr loskam.
„Haben Sie nur geträumt?" fragte Hunter jetzt leise, aber eindringlich. „Wollte der Unheimliche Sie nicht sogar beißen? Erinnern Sie sich!"
Die Hypnose, unter der sie gestanden hatte, brach plötzlich in sich zusammen. Hunter
Weitere Kostenlose Bücher