0692 - Herr der Schattenburg
in die Höhe schnellte, wurde sie von den drei Riemen voll erwischt.
In meine Richtung konnte sie sich nicht mehr werfen. Sie kam nur noch hoch, als wäre sie vom Katapult geschnellt. Dabei breitete sie die Arme und die Beine aus und wirkte in dem Augenblick, als sie sich über den Boden befand, wie das schaurige Ergebnis einer finsteren Gen-Manipulation.
Nicht mehr Tier und nicht Mensch, einfach ein mordendes Neutrum, eine widerliche, haarige Bestie.
Sie prallte auf den Rücken. Dabei zuckten die Arme, schlugen die Beine und ratschten die Krallen über den Beton, als könnten sie dort irgendwo Halt finden.
Auf dem Körper zeichneten sich die drei Streifen ab, die von den Riemen in das Fell hineingebrannt worden waren. Sie sahen aus wie braunrote Spuren, wobei eine noch das Gesicht erwischt hatte, quer darüber hinweglief und an der Stirn endete.
Ich stand auf. An meinem rechten Hosenbein klebte Öl. Mehr Schaden war nicht entstanden.
Suko war ebenfalls gut gelandet und nickte mir zu. »Das war er«, sagte er, »das war der Fahrer.«
»Ja, sie haben ihn erwischt.«
»Sogar als ersten.« Suko ballte die freie Hand zur Faust. »Und was ist mit den anderen beiden?«
Ich hob die Beretta auf und steckte sie weg. »Wenn wir die Spuren verfolgen, Suko, werden wir sie auch finden. Davon bin ich fest überzeugt.« Ich massierte meine Schulter und den Nacken gleich mit, denn der hatte ebenfalls beim Sturz gelitten.
Gemeinsam kümmerten wir uns um den Toten, hoben ihn an und legten ihn im Fahrerhaus ab.
Ich hatte einen pelzigen Geschmack im Mund, denn nun wußte ich hundertprozentig, wie weit die verfluchten Bestien gingen. Es wäre auch hirnrissig gewesen, einfach anzunehmen, daß sie nichts taten. Sie waren Werwölfe, auch wenn sie möglicherweise aus einer anderen Zeit stammten, aus einem anderen Land. Ihr Trieb war derselbe geblieben, der hatte sich über die Jahrtausende hinweg gehalten.
Aber was hatten die vor? In welch einer Verbindung standen sie zu dem geheimnisvollen Semerias?
Suko entdeckte die Ratlosigkeit in meinem Gesicht und nickte mir mitfühlend zu. »Wir werden diese ungastliche Stätte hier verlassen müssen.«
»Fragt sich nur, wohin wir gehen.«
»Wälder gibt es in dieser Gegend genügend. Da können wir uns drinnen verstecken.«
Ich widersprach nicht.
In der letzten halben Stunde waren wir die einzigen gewesen, die den Parkplatz angefahren hatten.
Ich hoffte stark, daß dies auch in den nächsten Stunden noch so blieb, denn ich wollte auf keinen Fall, daß der Tote entdeckt wurde.
Ich verließ den Schatten des Trucks.
Mein Blick schweifte über die Begrenzung hinweg in das freie Land hinein, über dem die tiefe Dunkelheit lag.
Dahinten - vielleicht weit oder nicht so weit - da waren sie.
Aber wo…?
***
Als hätte sich der Wind entschlossen, uns besonders zu begrüßen, so hatte er plötzlich aufgefrischt und fuhr wie mit gewaltigen Schaufelhänden über das flache Land hinweg, kämmte das Gras oder ließ es wie Wellen kräuseln, so daß wir den Eindruck hatten, einem gewaltigen Meer entgegenzugehen, dessen Fläche nur dann und wann von einigen dunklen Flächen, den Wald- oder Buschinseln, unterbrochen wurde.
Lag vor uns Atlantis? Oder ein Teil davon - ein Erbe vielleicht? Mir fiel der Begriff ein, der auch gefallen war.
Herr der Schattenburg!
Semerias, der im Hintergrund unsichtbar die Fäden zog und den wir nicht kannten, mußte der Herr der Schattenburg sein. Es gab für mich keine andere Erklärung.
Unser Weg war sehr gut zu verfolgen, da wir hin und wieder die Lampen aufblitzen ließen, um die hellen Strahlen über das Gelände fahren zu lassen.
Niemand kam uns entgegen. Es war auch niemand da, der uns aufgehalten hätte. Alle hielten sich zurück. Uns schien es, als hätten sie sich im weichen Erdboden verborgen.
Beide waren wir mißtrauisch. Besonders ich achtete sehr genau auf mein Kreuz, das für mich der beste Indikator war, den ich mir vorstellen konnte. Seine Wärme war geblieben, es spürte die Magie, aber sie hatte nicht mehr zugenommen. Oder es war mir nicht aufgefallen, was auch gut sein konnte, denn sehr geringe Wärmeunterschiede konnte ich leider nicht feststellen.
Längst hatte uns die Einsamkeit des Geländes verschluckt. Über allem stand der Mond. Das Licht stieß mich ab, es kam mir kalt und widerlich vor.
Kein Vogel flog durch die Luft. Die Tiere hatten sich niedergelegt, um zu schlafen. Vielleicht waren sie auch rechtzeitig genug geflohen, da sie
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