0697 - Der Leichenholer
bekommen.
Seine Reaktion ging weiter. Aus dem Mund fuhr die Zungenspitze und malte die Lippen nach. In seine dunklen Pupillen trat ein Schimmern, als wären sie mit Glanzwasser gefüllt worden. Gleichzeitig zog er die Lippen zur Seite, er fletschte die Zähne, damit seine beiden Markenzeichen deutlich hervortreten konnten.
Sie wuchsen aus dem Oberkiefer, sie waren gelblichweiß, etwas gebogen und liefen unten spitz zu.
Markenzeichen eines Vampirs, eines Blutsaugers, der Menschen ins Verderben riss.
Für die Dauer einer Sekunde blieb er noch vor der Treppe stehen. Dann drehte er sich abrupt um.
Eine Bewegung, die ihn wieder hineinbrachte in die Schatten der Dunkelheit. Nur seine hellen Zähne waren zu sehen, als er sich auf das Sofa und damit auf sein Opfer zu bewegte, das dort in einer stoischen Ruhe lag, als wäre die Frau gestorben.
Irgendwie stimmte das auch.
Sie war tot, obwohl sie lebte, aber das Dasein einer untoten Existenz führte, der es nichts ausmachte, andere Menschen ins Verderben zu reißen.
Rafugil fürchtete sich davor nicht. Für ihn waren die Geschöpfe der Nacht seine besten Freunde, schließlich sorgte er dafür, dass sie überhaupt entstehen konnten.
Neben dem Sofa unterbrach er seinen Gang, und er fiel abermals auf die Knie.
Er schaute sie an.
Sie schaute zurück!
Endlich standen ihre Augen offen. Rafugil sah ihre Pupillen wie dunkle Kreise, über seine Lippen huschte ein Lächeln, und er bewegte seine Hände über ihren Körper, dem er eine andere Kleidung angelegt hatte. Colette Mercier trug jetzt ein rotes, ponchoähnliches Gewand, das ihr nur bis zu den Oberschenkeln reichte und viel von ihren wunderbar geformten Beinen sehen ließ.
Sie war eine schöne Frau. Das dunkle Haar umwuchs buschig ihren Kopf und zeigte einen dunkelroten Schimmer, auf den das Licht messingfarbene Reflexe zauberte.
Ja, sie war schön, und auch die anderen drei jungen Frauen zählten zu den Schönheiten.
Genau das wollte er.
Rafugil, Künstler und Vampir, liebte die Schönheit der Menschen über alles. Er brauchte sie um sich herum wie andere Menschen die Luft. Er wollte sie haben, er wollte sie genießen, er liebte es, diese Personen anzuschauen, besonders dann, wenn sie sich in seiner Gewalt befanden. Wenn er es geschafft hatte, sie durch den Biss oder den Vampirkuss in sein Schattenreich zu holen.
Er berührte ihr Haar, spreizte dabei zwei Finger und fuhr durch die Strähnen.
»Wunderbar«, flüsterte er. »Du bist wunderbar…«
Colette hörte zu. Ihre Augen bekamen einen anderen Glanz, der beinahe schon träumerisch wirkte, als würde ihre Seele auf eine Reise in ein fernes Land gehen.
»Jetzt bist du mein«, sagte er. »Jetzt wirst du dazu beitragen, mein Kunstwerk zu vollenden. Vier müssen es sein, vier Bilder, vier Himmelsrichtungen, viermal die Macht…«
Colette hörte zu. Es war nicht zu erkennen, ob sie die Erklärungen begriffen hatte, aber sie nahm sie hin, und dabei bewegten sich ihre Lippen zuckend.
Dann öffnete sie den Mund!
Er sah die normalen Zähne, und er sah die beiden anders geformten, die aus dem Oberkiefer wuchsen.
Klein, spitz, noch nicht so gewachsen wie seine, aber sie würde, wenn sie der Blutdurst überkam, sie auch einsetzen, das stand für ihn fest. Er drehte den Körper etwas zur Seite und schaute dabei auf die linke Halsseite, wo sich zwei dunkle Punkte abzeichneten.
Dort war das Zeichen, dort hatten sich seine Zähne durch die Haut geschlagen. Die kleinen Wunden waren bereits verkrustet, das Blut schimmerte dunkel.
Er strich auch über ihre Beine hinweg, was zur Folge hatte, dass ihre Oberschenkel zuckten.
»Und wie fühlst du dich?«, fragte der Maler leise.
Colette öffnete den Mund noch weiter. »Sehr gut fühle ich mich. Ja, ich fühle mich gut.«
Rafugil nickte. Diese Antwort hatte ihn zufrieden gestellt, er redete weiter. »Dann will ich dir sagen, dass du die Person bist, die mein letztes Kunstwerk vollenden wird. Ich werde dich nehmen, und ich werde dich unvergesslich machen.«
Ja, tue es. Das sprach sie nicht aus, das las er in Colettes großen, dunklen Augen.
Er schob seine Hände unter ihren Körper und griff zu. Nur ein leichtes Anheben reichte bereits aus, denn seine Kraft war ungeheuer, nicht vergleichbar mit der eines normalen Menschen.
Er trug sie einfach fort, als wäre sie leicht wie Watte. Zunächst ging er zurück, dann drehte er sich um, schritt wieder vor und ließ sie auf seinen Armen liegen.
Es war schon die klassische
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