07 - Asche zu Asche
»Ich dachte, ich könnte früher Schluß machen, aber das klappt leider nicht. Ich muß noch einen Besuch machen. Ich kann nicht sagen, wann ich fertig sein werde. Halb zehn? Ich weiß nicht. Es wäre mir lieber, du wartest nicht auf mich. Das heißt, das hast du ja offensichtlich sowieso nicht getan, hm?« Er zuckte zusammen, als ihm dieser letzte Satz herausgerutscht war, und sagte hastig: »Hör zu, es tut mir wirklich leid, daß dieses Wochenende so daneben gegangen ist, Helen. Ich melde mich, sobald ich weiß -«
Mit Androidenstimme dankte ihm die Maschine für seinen Anruf, gab die genaue Zeit an - die er sowieso schon wußte - und unterbrach die Verbindung.
»Himmelherrgott«, fluchte er und knallte den Hörer auf.
Wo war sie am Samstag abend um acht, wo sie doch geplant hatten, das ganze Wochenende miteinander zu verbringen? Er ging die Möglichkeiten durch. Sie konnte bei ihren Eltern in Surrey sein, bei ihrer Schwester in Cambridge, bei Deborah und Simon in Chelsea, bei einer alten Schulfreundin, die gerade in ein neues Haus in einem Schicki-Viertel in Fulham eingezogen war. Natürlich gab es da auch noch eine ganze Reihe ehemaliger Liebhaber, aber er zog es vor, nicht an die Möglichkeit zu denken, daß einer von ihnen genau an dem Wochenende, da ihre Zukunft ein für allemal entschieden werden sollte, aus der Versenkung erschienen sein könnte.
»Himmelherrgott«, sagte er noch einmal.
»Sie sprechen mir aus der Seele«, erklärte Barbara, die in diesem Moment mit einem belegten Brot in der Hand ins Büro trat. »Da wollte ich mich heute abend in meinen neuen Stretchmini zwängen und mal wieder Hully-Gully tanzen bis zum Umfallen - tanzt eigentlich auf dieser Welt noch irgend jemand Hully-Gully? -, und statt dessen sitze ich in der Tretmühle und labe mich an einem schlabberigen Sandwich, das sie in der Kantine großspurig croque monsieur nennen.«
Lynley betrachtete prüfend das Brot, das sie ihm hinhielt.
»Sieht mir nach gegrilltem Schinken aus.«
»Aber wenn man der Kreation einen französischen Namen gibt, kann man mehr dafür verlangen.« Sie kaute wie ein Eichhörnchen mit aufgeblähten Pausbacken, während Lynley seine Brille einsteckte und die Autoschlüssel herausnahm. »Aha, es geht los«, stellte Barbara fest. »Und wohin, wenn man fragen darf?«
»Nach Wapping.« Er ging voraus und erklärte: »Guy Mollison hat eine Presseerklärung abgegeben. Sie kam heute nachmittag im Radio. ›Ein großes Unglück für den englischen Sport, ein schwerer Schlag für unser Team, das hofft, die Australier zu besiegen, und für das Auswahlkomitee Anlaß zu ernster Sorge.‹«
Barbara stopfte das letzte Eckchen ihres Brots in den Mund und sagte nuschelnd: »He, das ist eine interessante Perspektive, finden Sie nicht, Sir? Daran hatte ich bis jetzt noch gar nicht gedacht. Es war sicher, daß Fleming wieder in die Nationalmannschaft kommen würde. Jetzt muß ein Ersatz für ihn gesucht werden. Da hat jetzt jemand eine Riesenchance.«
Sie fuhren aus der Tiefgarage auf die Straße hinaus. Barbara warf einen sehnsüchtigen Blick zu dem italienischen Restaurant an der Ecke, als sie in Richtung Parliament Square losbrausten. Um diese Zeit waren die endlosen Reihen von Touristenbussen verschwunden; das Standbild Winston Churchills blickte in friedvoller Einsamkeit auf den Fluß hinaus.
Kurz vor der Westminster-Brücke schwenkten sie nach Norden ab, bogen zum Victoria Embankment ein und folgten dem Flußlauf. Sie fuhren jetzt asynchron zum allgemeinen Verkehr, und als sie an der Hungerford Footbridge vorüber waren, führte die Straße, auf der sie sich befanden, zur City, wo am Samstag abend kaum jemand etwas zu tun hatte. Auf der einen Seite hatten sie den Park, auf der anderen den Fluß und dazu viel Zeit, darüber Betrachtungen anzustellen, wie furchtbar die Nachkriegsbauten auf der Südseite der Themse das Stadtbild entstellten.
»Was wissen wir über Mollison?« fragte Barbara, während sie in ihrer Hosentasche kramte und schließlich eine Rolle Pfefferminzdrops zum Vorschein brachte. Sie nahm sich eines, bot die Rolle dann Lynley an und sagte im künstlich munteren Ton einer überarbeiteten Stewardeß: »Möchten Sie vielleicht ein Pfefferminzbonbon nach dem Essen, Sir?«
Er sagte: »Danke« und schob einen Drops in den Mund. Er schmeckte nach Staub, als hätte sie die angebrochene Rolle irgendwo vom Boden aufgelesen und befunden, man könne sie doch nicht verkommen lassen.
»Ich weiß, daß er
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