07 - Asche zu Asche
für Essex spielt«, sagte sie, »wenn er nicht in der Nationalmannschaft ist. Aber das ist auch schon alles.«
»Er spielt seit zehn Jahren in der Nationalmannschaft«, korrigierte Lynley und erzählte ihr, was er bei einem Telefongespräch mit Simon St. James, Freund, Wissenschaftler und Cricket-Fan ohnegleichen, sonst noch über Mollison erfahren hatte.
»Er ist siebenunddreißig -«
»Na, allzu viele gute Jahre auf dem Cricket-Feld wird er da wohl nicht mehr vor sich haben.«
»- und mit einer Anwältin namens Allison Hepple verheiratet. Ihr Vater war übrigens mal Sponsor des Teams.«
»Ich sag's ja, Sponsoren, so weit das Auge reicht.«
»Mollison hat in Cambridge studiert, am Pembroke College. Naturwissenschaften. Eine große Leuchte scheint er nicht gewesen zu sein. Er hat schon in Harrow angefangen, Cricket zu spielen, und kam dann in die Universitätsmannschaft. Nach dem Studium hat er weitergemacht.«
»Da war wohl das Studium nur Vorwand zum Cricketspielen.«
»Ja, so sieht es aus.«
»Ihm würde also das Wohl des Teams am Herzen liegen, wie auch immer das aussieht.«
»Richtig - wie auch immer es aussieht.«
Guy Mollison wohnte in einem Teil Wappings, der gründlich saniert worden war. Massige viktorianische Lagerhäuser blickten hier finster auf die schmalen kopfsteingepflasterten Straßen am Fluß hinunter. Einige waren noch in Betrieb, doch es war offenkundig, daß Wapping eine Wandlung durchgemacht hatte. Es war nicht mehr das geschäftig wimmelnde, von Verbrechen geplagte Hafenviertel, wo schreiende Schauerleute sich drängten und alles, vom Lampenruß bis zum Schildpatt, von den Schiffen trugen. Da, wo einst Warenballen, Fässer und Säcke sich in Lagerhäusern und auf den Straßen gestapelt hatten, regierte jetzt die Erneuerung. Aus den Schaulustigen des achtzehnten Jahrhunderts, die zusammengeströmt waren, um zu sehen, wie ein verurteilter Pirat bei Ebbe im Fluß angekettet wurde, um in der kommenden Flut zu ertrinken, waren karrierebewußte Yuppies des zwanzigsten Jahrhunderts geworden. Sie wohnten in den ehemaligen Lagerhäusern, die, da man ihnen den Status historischer Gebäude gegeben hatte, nicht abgerissen und durch Mammutbauten wie am Südufer ersetzt werden durften.
Guy Mollison wohnte im China Silk Wharf, einem sechsstöckigen ehemaligen Lagerhaus aus zimtbraunem Backstein, an der Kreuzung Garnet Street und Wapping Wall. Der Portier hockte, als Lynley und Barbara kamen, lustlos vor einem Minifernsehgerät in einer Portiersloge von der Größe einer Frachtkiste.
»Mollison?« fragte er, als Lynley läutete, seinen Dienstausweis zeigte und sagte, zu wem er wollte. »Warten Sie hier.« Er zog sich mit Lynleys Ausweis in der Hand in sein kleines Büro zurück, griff zum Telefon und tippte, von Fernsehgelächter begleitet, eine Nummer ein.
Mit dem Ausweis und einem Stück Aal in Aspik, das an einer Gabel hing - offensichtlich sein Abendimbiß -, kam er wieder ans Fenster. »Vier siebzehn«, sagte er. »Vierter Stock. Vom Aufzug aus links. Und melden Sie sich bei mir ab, wenn Sie gehen.«
Er nickte ihnen zu, schob das Stück Aal in den Mund und entließ sie huldvoll. Oben stellten sie fest, daß seine Anweisungen ganz überflüssig gewesen waren. Als die Aufzugtür sich in der vierten Etage öffnete, erwartete der Teamkapitän der englischen Cricket-Nationalmannschaft sie bereits im Treppenflur. Er lehnte an der Wand, dem Aufzug gegenüber, die Hände in den Taschen seiner zerknitterten Leinenhose, die Füße an den Knöcheln gekreuzt.
Lynley erkannte Mollison an dem für ihn charakteristischen Merkmal: der Nase mit dem abgeflachten Rücken, die er sich beim Cricket zweimal gebrochen hatte und die niemals korrekt eingerichtet worden war. Er hatte ein sonnengebräuntes Gesicht und Sommersprossen auf der Stirn mit den tiefen Geheimratsecken. Unter seinem linken Auge prangte ein Veilchen von der Größe eines Cricket-Balls - oder auch einer Faust -, das gerade begann, sich an den Rändern gelb zu färben.
Mit ausgestreckter Hand kam er ihnen entgegen und sagte:
»Inspector Lynley? Bei der Polizei von Maidstone sagte man mir schon, daß New Scotland Yard eingeschaltet worden ist. Daher kommen Sie wohl?«
Lynley schüttelte Mollison die Hand. »Ja«, antwortete er und stellte Barbara Havers vor. »Sie haben also mit Maidstone gesprochen?«
Mollison nickte Barbara zu. »Ich versuche seit gestern abend, klare Antworten von der Polizei zu bekommen, aber sie verstehen sich
Weitere Kostenlose Bücher