07 - Asche zu Asche
ersten Holzspan und legte ihn mit einem befriedigten Lächeln in einen Behälter. »Ausgezeichnet«, murmelte sie. »Welch erfreulicher Anblick.« Sie war sicher, daß in den verkohlten Gedärmen noch mindestens fünf weitere solche Holzspäne vergraben waren. Von neuem begann sie zu tasten, zu trennen, zu suchen. »Wer ist sie übrigens?«
»Wer?«
»Das Opfer. Die Frau mit den Katzen.«
»Das ist es ja«, antwortete Coffman. »Darum ist der Chef mit nach Pembury gefahren. Deswegen findet wohl später auch eine Pressekonferenz statt. Und daher hab ich gesagt, das kann heiter werden.«
»Wie meinen Sie das?«
»Hier wohnt eine Frau, verstehen Sie?«
»Ja. Ist sie ein Filmstar oder so was? Eine Prominente?«
»Nein, das ist sie nicht. Sie ist überhaupt keine Sie.«
Isabelle hob den Kopf. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Snell weiß es nicht. Niemand außer uns weiß Bescheid.«
»Worüber?«
»Daß die Leiche da oben ein Mann war.«
2
Als die Polizei am Markt von Billingsgate aufkreuzte, war es später Nachmittag und von Rechts wegen hätte Jeannie überhaupt nicht da sein dürfen, weil der Londoner Fischmarkt um diese Zeit so leer und verlassen war wie ein Untergrundbahnhof morgens um drei. Aber sie war da, weil sie auf einen Monteur wartete, der den Herd von Crissys Cafe reparieren sollte. Der hatte ausgerechnet im dümmsten Moment seinen Geist aufgegeben, mitten in der Hauptgeschäftszeit gegen halb zehn, wenn die Fischhändler ihre Geschäfte mit den Einkäufern der Nobelrestaurants abgeschlossen hatten und der Arbeitstrupp mit der Säuberung des riesigen Parkplatzes von Styroporbehältern und Fischabfällen fertig war.
Die Mädels - alle wurden sie bei Crissys so genannt, ohne Rücksicht darauf, daß die älteste der Frauen achtundfünfzig war und die jüngste, Jeannie, zweiunddreißig - hatten es geschafft, den Herd mit gutem Zureden soweit zu bringen, daß er den Rest des Morgens wenigstens mit halber Kraft funktionierte, so daß sie weiterhin knusprig gebratenen Schinkenspeck, Eier, Blutwurst, Käsetoast und andere Gerichte auftischen konnten, als wäre alles in bester Ordnung. Wenn sie aber eine Meuterei unter ihren Gästen vermeiden wollten - ja, schlimmer noch: wenn sie ihre Gäste nicht ans Catons verlieren wollten -, dann mußte der Herd des kleinen Cafes schleunigst repariert werden.
Die Mädels losten aus, wer bleiben und auf den Techniker warten mußte, und sie taten es auf die gleiche Weise, wie sie es in den fünfzehn Jahren, die Jeannie mit ihnen zusammenarbeitete, immer getan hatten. Sie zündeten gleichzeitig Streichhölzer an und ließen sie herunterbrennen. Wer das seine zuerst fallenließ, hatte verloren.
Jeannie schaffte es so gut wie alle anderen, das Hölzchen zu halten, bis die Flamme an ihren Fingern leckte, aber heute wollte sie verlieren. Gewann sie, würde sie nach Hause gehen müssen.
Wenn sie aber blieb, und weiß der Himmel, wie lange der Techniker auf sich warten lassen würde, dann konnte sie das Nachdenken über Jimmy noch ein Weilchen vor sich her schieben. Alle Leute, von ihren nächsten Nachbarn bis zu den Schulbehörden, betonten, wenn sie über ihren Sohn sprachen, das Wort »Jugendlicher« auf eine Art und Weise, die Jeannie gar nicht gefiel. Sie sagten es so, als meinten sie »Penner« oder »kleiner Mistkerl« oder »Gauner«, was alles gar nicht zutraf. Aber das konnten sie natürlich nicht wissen, denn sie sahen ja nur die Fassade des Jungen und überlegten nicht mal einen Moment lang, was vielleicht dahintersteckte.
Sie sahen nicht, daß Jimmy litt. Er litt seit vier Jahren, so schrecklich wie sie.
Jeannie saß an einem der Fenstertische bei einer Tasse Tee, als sie endlich eine Autotür knallen hörte. Sie dachte, das sei nun endlich der Techniker. Sie sah zur Wanduhr hinauf. Es war nach drei. Dann stieß sie ihren Stuhl zurück und stand auf. Und da sah sie, daß es ein Polizeiwagen war, der draußen stand, mit einer Frau und einem Mann darin. Und gerade weil eine Frau dabei war, weil diese Frau sehr ernst aussah und mit prüfendem Blick den weitläufigen Backsteinbau musterte, während sie die Schultern straffte und den Kragen an ihrer Bluse geradezog, überkam Jeannie Angst.
Automatisch schaute sie ein zweites Mal auf die Uhr und dachte an Jimmy. Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, daß ihr Ältester trotz seiner Enttäuschung über den verpfuschten sechzehnten Geburtstag zur Schule gegangen sein mochte. Wenn er das nicht getan hatte,
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