07 - Asche zu Asche
wenn er wieder geschwänzt hatte und irgendwo aufgelesen worden war, wo er nichts zu suchen hatte, wenn diese Frau und dieser Mann - warum waren sie überhaupt zu zweit? - gekommen waren, um seine Mutter von neuen Dummheiten zu unterrichten ... Es war undenkbar, was alles geschehen sein konnte, seit Jeannie an diesem Morgen um zehn vor vier das Haus verlassen hatte.
Sie ging zur Arbeitsfläche und kramte eine Packung Zigaretten aus dem Versteck, das eines der »Mädels« dort angelegt hatte. Sie zündete sich eine an, fühlte das Brennen des Rauchs in Hals und Lunge, spürte augenblicklich den leichten Schwindel in ihrem Kopf.
Sie empfing den Mann und die Frau an der Tür zum Café. Die Frau war genauso groß wie sie selbst und hatte zarte, glatte Haut, die sich um die Augen kräuselte, und eine Haarfarbe, die man weder als blond noch als brünett bezeichnen konnte. Sie stellte sich vor und zeigte Jeannie ihren Dienstausweis. Coffman, sagte die Frau. Sergeant. Agnes, fügte sie dann noch hinzu, als könnte die Tatsache, daß sie auch einen Vornamen hatte, ihrer Anwesenheit den Stachel nehmen. Sie sagte, sie sei vom CID Greater Springburn, und stellte dann den jungen Mann vor, einen Constable Dick Payne oder Nick Dane oder so ähnlich. Jeannie nahm den Namen nicht auf, weil sie nicht mehr richtig hinhören konnte, nachdem die Frau »Greater Springburn« gesagt hatte.
»Sie sind Jean Fleming?« fragte Sergeant Coffman.
»War«, entgegnete Jeannie. »Elf Jahre lang war ich Jean Fleming. Jetzt heiße ich Cooper. Jean Cooper. Warum? Wen interessiert das?«
Sergeant Coffman drückte einen Fingerknöchel auf die Stelle zwischen ihren Augenbrauen, als helfe ihr das beim Denken. Sie erwiderte: »Man hat mir gesagt - Sie sind doch die Frau von Kenneth Fleming?«
»Die Scheidung ist noch nicht rechtskräftig, wenn Sie das meinen. Wir sind also, rechtlich gesehen, noch verheiratet«, antwortete Jeannie. »Aber wenn man mit einem Mann verheiratet ist, heißt das nicht unbedingt, daß man auch seine Frau ist.«
»Nein, vielleicht nicht.« Aber wie Sergeant Coffman das sagte und wie sie Jeannie dabei ansah, das veranlaßte Jeannie, tief von ihrer Zigarette zu inhalieren. »Mrs. Fleming ... Miss Cooper ... Mrs. Cooper ...« fuhr Sergeant Coffman fort.
Der junge Constable an ihrer Seite senkte den Kopf.
Da wußte es Jeannie. Die Botschaft war in dieser Aneinanderreihung von Namen enthalten. Die Frau brauchte es gar nicht mehr auszusprechen. Jeannie wußte es auch so. Kenny war tot. Irgendwo auf einer Schnellstraße verunglückt oder im Untergrundbahnhof Kensington High Street von einem Messer getroffen, oder fünfzig Meter weit von einem Zebrastreifen weggeschleudert oder von einem Bus mitgeschleift oder ... War es wichtig? Ganz gleich, wie es geschehen war, es war endlich vorbei. Nie wieder konnte er nun zurückkommen und sich am Küchentisch ihr gegenübersetzen und reden und lächeln. Nie wieder konnte er in ihr den Wunsch wecken, den Arm über den Tisch zu strecken und die rotblonden Härchen auf seinem Handrücken zu berühren.
Mehr als einmal hatte sie in den vergangenen vier Jahren gemeint, daß sie froh sein würde, wenn dieser Moment einträte. Sie hatte gedacht, wenn doch nur irgend etwas ihn vom Antlitz der Erde fegen und mich davon erlösen könnte, diesen gemeinen Kerl selbst jetzt noch zu lieben, wo er gegangen ist und alle Welt weiß, daß ich ihm nicht gut genug war, daß wir nicht gut genug waren, daß wir nicht die richtige Familie für ihn waren ... Ich habe mir gewünscht, er möge sterben, tausendmal, ich habe mir gewünscht, er möge tot sein, ich habe mir gewünscht, daß er in Stücke zerrissen wird, daß er leidet.
Sie fand es merkwürdig, daß sie nicht einmal zitterte. Sie sagte: »Ist Kenny tot, Sergeant?«
»Wir brauchen eine amtliche Identifizierung. Sie müssen sich den Toten ansehen. Es tut mir sehr leid.«
Am liebsten hätte sie gesagt: Warum bitten Sie nicht sie darum? Sie war doch so scharf auf ihn, als er noch gelebt hat.
Statt dessen erwiderte sie: »Entschuldigen Sie mich einen Moment, ich muß erst noch telefonieren.«
Sergeant Coffman sagte, sie solle sich ruhig Zeit lassen, und zog sich dann mit dem Constable in die andere Hälfte des Cafés zurück, wo sie beide zum Fenster hinaussahen, auf den Hafen mit den pyramidengekrönten Glastürmen der Canary Wharf, auch so ein leeres Versprechen von Arbeitsplätzen und Stadtsanierung, das die Mächtigen aus der City den kleinen
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