07 - Asche zu Asche
meinem Kaffee an einen Tisch bei den Fenstern. Ich trank den Kaffee schnell und hielt meinen Blick dabei auf die Bäume gerichtet. Und ich überlegte, wieso ich so ein seltsames Gefühl im Magen hatte.
Ursprünglich dachte ich, mir werde hier nur der Beweis dafür vorgeführt, daß sie ein Leben der guten Taten nunmehr zu seinem logischen Abschluß gebracht hatte, indem sie, wie sich das für eine tüchtige Sozialkundlerin gehörte, der Theorie die Praxis folgen ließ. Denn ihre Hypothese war immer gewesen, daß die Unterprivilegierten, wenn man ihnen nur die Gelegenheit dazu böte, gleiche Ruhmeshöhen erklimmen könnten wie die Privilegierten. Mit Geburt, Abstammung, Veranlagung oder familiären Rollenvorbildern habe es überhaupt nichts zu tun. Der homo sapiens strebe eben seiner Natur gemäß nach dem Erfolg. Kenneth Fleming war das Objekt ihrer Studien gewesen.
Und Kenneth Fleming hatte auch die Richtigkeit ihrer Theorie bewiesen. Na und, was bedeutete das schon für mich? Ich gebe es nur mit tiefem Widerwillen zu. Es scheint so infantil und fragwürdig. Ich kann es nicht einmal ohne Verlegenheit erzählen.
Indem Mutter Kenneth in ihrem Haus aufnahm, hatte sie meine lange bestehende Überzeugung bestätigt, daß sie ihn mir vorzog und sich immer gewünscht hatte, er wäre ihr Kind. Nicht erst seit jenem Zeitpunkt, als ihr dieses Stück Dreck am Untergrundbahnhof Covent Garden über den Weg gelaufen war. Danach hätte man ihr leicht zubilligen können, daß sie darauf brannte, Ersatz zu finden. Nein, lange vorher schon, als ich noch zu Hause lebte, als Kenneth und ich noch Fünftkläßler waren.
Als ich in den Zeitungen die ersten Fotos von ihnen sah, die ersten Artikel über sie las, traf das durch meine rauhe Schale hindurch direkt die bloße, hochempfindliche Haut. Unter dieser dünnen Haut schwärte wie eine eiternde Wunde die Reaktion auf die Zurückweisung.
Kränkung und Eifersucht. Mich quälte beides. Und ich nehme an, Sie fragen sich, wieso. Wir waren uns seit so vielen Jahren entfremdet, meine Mutter und ich, weshalb sollte es mir etwas ausmachen, daß sie einen Menschen in ihrem Heim und ihrem Leben aufgenommen hatte, der die Rolle ihres erwachsenen Kindes spielen konnte? Ich hatte doch diese Rolle gar nicht spielen wollen! Oder?
Sie glauben mir nicht recht, nicht wahr? Sie meinen, was mich quälte, waren nicht Kränkung und Eifersucht. Sie nennen es Angst. Sie sagen, Miriam Whitelaw wird schließlich nicht ewig leben, und sie wird ein ganz schönes Erbe hinterlassen, wenn sie einmal das Zeitliche segnet: das Haus ins Kensington mit allem Inventar, die Druckerei, das Häuschen in Kent, weiß der Himmel was an Wertpapieren ... Ist nicht das vielleicht der wahre Grund, fragen Sie, warum die gute Olivia Magenflattern kriegte, als ihr zum erstenmal klar wurde, was Kenneth Flemings Präsenz im Leben ihrer Mutter bedeuten konnte? Denn Olivia hätte, rechtlich gesehen, keinen Fuß auf den Boden bekommen, hätte ihre Mutter sich entschlossen, ihr gesamtes Hab und Gut Kenneth Fleming zu hinterlassen. Schließlich hatte sich Olivia ja vor geraumer Zeit auf ziemlich endgültige Art und Weise aus dem Leben ihrer Mutter ausgeklinkt.
Sie werden mir vielleicht nicht glauben, aber ich kann mich nicht erinnern, daß solche Sorgen Teil meiner Gefühle gewesen wären. Meine Mutter war ja erst sechzig Jahre alt, als sie die Beziehung zu Kenneth Fleming wiederaufnahm, damals in der Druckerei. Sie war bei bester Gesundheit. Ich dachte keinen Moment daran, daß sie sterben würde; folglich verschwendete ich auch keinen Gedanken daran, wem sie dereinst ihr Vermögen vermachen würde.
Als ich mich an die Tatsache gewöhnt hatte, daß Mutter und Kenneth unter einem Dach lebten - genauer gesagt, als man anfing, sich über die Situation die Mäuler zu zerreißen, weil Kenneth nichts tat, um seinen Personenstand zu ändern -, löste sich die Kränkung schnell in Ungläubigkeit auf. Sie ist über sechzig Jahre alt, sagte ich mir. Was erwartet sie sich? Dann kam der Spott: Die macht sich ja total lächerlich!
Als mit der Zeit offenkundig wurde, daß Mutter und Kenneth mit ihrem Arrangement hochzufrieden waren, gab ich mir die größte Mühe, die beiden einfach zu ignorieren. Wen interessiert es schon, ob sie Mutter und Sohn, beste Freunde, ein Liebespaar oder die größten Cricket-Fans der Welt waren? Meinetwegen konnten die tun und lassen, was sie wollten. Sollten sie ihren Spaß haben. Von mir aus konnten die sich nackt
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