07 - Asche zu Asche
mir: »Es ist Zeit.«
»Zeit? Wozu?«
»Du mußt es ihr sagen.«
Es war nicht gerade schwierig, diese Bemerkung zu seinen vorangegangenen Fragen und Kommentaren in Beziehung zu setzen. Ich wurde zornig. »Sie braucht nichts von mir zu wissen.«
»Hör auf mit dem Spielchen, Mädel. Das bringt's nichts. Hier geht's um Endgültigkeiten.«
»Dann schick ihr ein Telegramm, wenn ich krepiert bin.«
»So würdest du deine Mutter behandeln?«
»Wie sie mir, so ich ihr. Sie wird's überleben. Ich hab's auch überlebt.«
»Aber das nicht.«
»Ich weiß, daß ich sterbe. Du brauchst mich nicht daran zu erinnern.«
»Ich hab nicht von dir gesprochen, sondern von ihr.«
»Du kennst sie ja gar nicht. Du kannst mir's glauben, diese Dame hat Reserven, von denen Typen wie wir nur träumen können. Die wird mein Ableben abschütteln wie Regenwasser von ihrem Burberry-Schirm.«
»Kann sein«, meinte er. »Aber du solltest daran denken, daß sie dir vielleicht helfen kann.«
»Ich brauche ihre Hilfe nicht. Und ich will sie auch nicht.«
»Und Chris?« fragte Max. »Was ist mit ihm? Wenn er Hilfe braucht und wünscht? Vielleicht nicht jetzt, aber später, wenn es hart wird? Und du weißt, daß es das werden wird.«
Ich griff wieder zu meiner Gabel, machte mich über meine Lasagne her und sah zu, wie der geschmolzene Käse zwischen den Zinken herabrann.
»Also?« fragte Max.
»Chris?« fragte ich.
»Ich komm schon zurecht«, sagte er.
»Damit wäre die Sache erledigt.« Doch als ich meine Gabel zum Mund hob, sah ich den Blick, den Max und Chris tauschten, und begriff, daß sie schon über Mutter gesprochen hatten.
Ich hatte sie seit mehr als sechs Jahren nicht mehr gesehen. In der Zeit, als ich in der Gegend von Earl's Court anschaffen ging, war nicht damit zu rechnen gewesen, daß unsere Wege sich kreuzen würden. Trotz ihrer ausgeprägten sozialen Ader hatte sich Mutter nie als Seelenretterin der gefallenen Mädchen dieser Stadt versucht, und ich hatte daher sicher sein können, daß mir die Unerfreulichkeit einer zufälligen Begegnung mit ihr erspart bleiben würde. Nicht, daß mir so eine Begegnung persönlich viel ausgemacht hätte. Aber dem Geschäft hätte es geschadet, wenn ich mit so einer alten Hexe im Schlepptau gesehen worden wäre.
Seit ich jedoch mein Straßenleben aufgegeben hatte, war meine Situation in bezug auf Mutter um einiges prekärer geworden. Sie saß in Kensington. Ich saß knapp eine Viertelstunde entfernt in Little Venice. Ich hätte ihre Existenz gern einfach vergessen, aber die Wahrheit ist, daß es Wochen gab, in denen ich keinen Tag wegging, ohne mir darüber Gedanken zu machen, ob ich ihr vielleicht irgendwo auf dem Weg zum Zoo, zum Supermarkt, zu einer Wohnung, die Chris renovieren sollte, zur Holzhandlung, wo wir Material zum Herrichten des Boots besorgten, begegnen würde.
Ich kann nicht erklären, warum ich immer noch an sie dachte. Ich hatte es nicht erwartet. Vielmehr hatte ich geglaubt, die Brücken zwischen uns seien endgültig abgebrochen. Und ganz konkret war das ja auch so. Ich hatte meine an dem Abend in Covent Garden abgebrochen. Sie die ihren mit dem Telegramm, in dem sie mir Dads Tod und Einäscherung mitteilte. Nicht einmal ein Grab hatte sie mir gelassen, das ich in aller Stille hätte besuchen können, und das war für mich so unverzeihlich wie die Art und Weise, in der sie mich von seinem Tod unterrichtet hatte. Ich hatte daher überhaupt kein Verlangen danach, mein Leben in irgendeiner Weise wieder mit dem ihren zu verquicken.
Nur eines schaffte ich nicht: Mutter aus meiner Erinnerung und meinen Gedanken zu löschen. Ich wage zu bezweifeln, daß überhaupt ein Mensch das kann, wenn es um Eltern oder Geschwister geht. Das Band, das einen an die Familie bindet, kann durchtrennt werden, aber die abgeschnittenen Enden haben so eine Art, einem an windigen Tagen ins Gesicht zu flattern.
Als Mutter und Kenneth Fleming vor gut zwei Jahren zum Gegenstand von Presseklatsch und Spekulationen wurden, flatterten mir diese Enden natürlich häufiger ins Gesicht, als mir lieb war. Es ist schwer zu erklären, wie mir zumute war, wenn ich immer wieder ihr Bild und seines in der Daily Mail sah, die eine der Laborantinnen jeden Tag getreulich in die Zooklinik mitbrachte, um sie in der Elf-Uhr-Pause zu lesen. Ich pflegte die Fotos über ihre Schulter hinweg zu betrachten. Manchmal erhaschte ich auch einen Blick auf die Schlagzeile. Dann schaute ich schnell weg und setzte mich mit
Weitere Kostenlose Bücher