07 - Asche zu Asche
entwickeln. Muß - Das Läuten des Telefons riß mich aus dem Dämmerschlaf, in den ich langsam gesunken war. Der Apparat stand mir gegenüber auf dem Tisch am Fenster. Ich lauschte dem schrillen Läuten und überlegte, ob ich hingehen sollte. Nun, warum nicht? Es konnten gut Chris oder Max sein, die wissen wollten, wie es mir in der Höhle des Löwen erging. Es gehörte sich einfach, daß man sie beruhigte. Ich holte meine Gehhilfe, stemmte mich auf die Füße, schleppte mich an dem Chesterfield-Sofa vorbei und griff nach dem Hörer, als es gerade das zwölfte Mal läutete.
»Ja?« sagte ich.
Im Hintergrund vernahm ich Musik, sehr gedämpft, wie aus weiter Ferne: den schnellen Schlag einer klassischen Gitarre und spanischen Gesang. Dann schlug irgend etwas klirrend gegen das Telefon. Ich hörte, wie jemand tief Luft holte.
»Ja?« sagte ich wieder.
Eine Frau zischte: »Luder! Gemeines Luder! Jetzt haben Sie endlich, was Sie wollen.« Sie schien halb betrunken zu sein.
»Aber es ist nicht vorüber. Es - ist - nicht vorüber. Haben Sie verstanden, Sie alte Vettel? Was glauben Sie eigentlich, wer Sie -.«
»Wer ist am Apparat?«
Ein Lachen. »Sie wissen, verdammt noch mal, ganz genau, wer am Apparat ist. Warten Sie nur, Sie alte Hexe. Machen Sie nur immer schön Ihre Fenster und Türen zu. Sie werden schon sehen, was passiert.«
Dann wurde das Gespräch unterbrochen. Ich legte ebenfalls auf, rieb die Hand an meiner Jeans und starrte auf das Telefon. Die Frau mußte betrunken gewesen sein. Sie mußte das Bedürfnis gehabt haben, an irgend jemandem ihre Wut auszulassen. Sie mußte ... Ich schauderte und fragte mich, warum mich das berührte. Mich ging das alles doch nichts an. Glaubte ich.
Dennoch überlegte ich, ob ich nicht Max anrufen sollte. Ob ich nicht aufs Boot zurückkehren und ein andermal wiederkommen sollte. Denn es war ja offensichtlich, daß Mutter und Kenneth in dieser Nacht nicht zurückkommen würden. Vielleicht auch in der nächsten und übernächsten nicht. Ich würde es später noch einmal versuchen müssen.
Aber wann? Wann? Wie viele Wochen blieben mir noch, ehe der Rollstuhl unausweichlich und ein Weiterleben auf dem Hausboot unmöglich werden würde? Wie oft würde sich in dieser Zeit noch die Gelegenheit bieten, daß Chris in Sachen ARM unterwegs war und ich behaupten konnte, mich mit meiner Mutter verabredet zu haben? Nichts lief so, wie ich es geplant hatte. Die Vorstellung, daß ich diesen ganzen Zirkus mit Chris noch einmal würde durchspielen müssen, war zum Verrücktwerden.
Ich seufzte. Wenn Plan A nicht klappte, mußte ich es eben mit Plan B versuchen. In der Nähe der Tür, die ins Eßzimmer führte, stand Mutters Sekretär. Dort würde ich Papier und Stifte finden. Ich würde ihr einen Brief schreiben. Die Überraschung würde zwar nicht die gleiche sein wie bei einer persönlichen Begegnung, aber das war nun nicht zu ändern.
Ich suchte mir zusammen, was ich brauchte, und setzte mich nieder, um zu schreiben. Ich war müde, und meine Finger wollten nicht so, wie ich es ihnen befahl. Nach jedem Absatz mußte ich eine Pause machen. Ich hatte vier Seiten geschafft, als nicht nur meine Finger, sondern auch meine Augen nach Erholung verlangten. Nur fünf Minuten, dachte ich, als ich den Kopf auf die schräge Schreibfläche des Sekretärs legte. Nur fünf Minuten, dann mache ich weiter.
Der Traum führte mich nach oben, ins oberste Stockwerk des Hauses, in mein altes Zimmer. Ich hatte meine Rucksäcke mit, aber als ich sie öffnete, um sie auszupacken, enthielten sie keine Kleidungsstücke, sondern die Kätzchen, die wir vor so langer Zeit aus dem Forschungslabor für Rückenmarksuntersuchungen gerettet hatten. Ich dachte, sie wären tot, aber sie lebten noch. Sie begannen zu kriechen, schleppten sich mit ihren verdrehten kleinen Hinterbeinen, die völlig nutzlos hinter ihnen herschleiften, über das Bett. Ich wollte sie aufsammeln. Ich wußte, ich muß sie verschwinden lassen, bevor Mutter hereinkam. Aber jedesmal, wenn ich eines der Kätzchen eingefangen hatte, erschien ein neues. Sie waren unter den Kissen und auf dem Boden. Als ich eine Schublade der Kommode aufzog, um sie darin zu verstecken, hatten sie sich auch dort schon vermehrt. Dann war plötzlich, wie es im Traum oft so ist, Richie Brewster da. Wir waren jetzt im Zimmer meiner Mutter und lagen in ihrem Bett. Richie spielte auf seinem Saxophon. Über seiner Schulter hing eine Schlange. Sie kroch über seine Brust und
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