07 - Asche zu Asche
Ich bin's, Olivia.« Meine Stimme schien sich in den langen Schals zu verlieren, die vom Kaminsims herabhingen, in der Kaminöffnung hinter dem schmiedeeisernen Schutzgitter mit den einbeinigen Pelikanen aus Bronze, in den monströsen Arrangements aus Trockenblumen auf den Tischen, in der viktorianischen Überladenheit dieses Klaustrophobie erregenden Zimmers, die aus irgendeinem Grund noch bedrückender zu werden schien, während ich dort in der Dunkelheit saß und mir immer wieder nur sagte: Atmen, Livie, atmen, atmen.
Ich versuchte mich zu erinnern, wo die nächste Lampe stand. Das Licht, das von der Straße hereinfiel, bildete einen gelben Keil auf dem Teppich. Gegenstände begannen Form anzunehmen; eine Gitarre an der Wand, eine Uhr auf dem Kaminsims, die pseudogriechischen Skulpturen auf ihren Marmorpiedestals in zwei Ecken des Zimmers, die scheußliche Stehlampe mit dem Fransenschirm ...
Ja, da stand sie, am anderen Ende des Sofas. Ich zog mich hinüber, machte mich lang und gab meinen Armen den Befehl zuzupacken. Sie taten es tatsächlich. Ich schaltete die Lampe ein.
Danach nahm ich mit viel Mühe wieder meine ursprüngliche Position ein und reckte den Hals, um an einem überdimensionalen Chesterfield-Sofa vorbei zu dem Tisch im Erker zu sehen, auf dem die Lampe stand. Ich folgte dem Kabel mit den Augen. Es fiel zum Teppich herab und zog sich zu einer Steckdose unterhalb der Vorhänge. Aber dort war nicht das Kabel eingesteckt, sondern eine Zeitschaltuhr, mit der das Kabel verbunden war.
Ich gratulierte mir mit einem »Gut gemacht, Sherlock«, dann lehnte ich mich wieder zurück und überlegte, was ich als nächstes tun sollte. Zwar stand der BMW in der Garage, aber Mutter und Kenneth Fleming waren offensichtlich nicht in der Absicht aus dem Haus gegangen, in dieser Nacht noch zurückzukehren, sonst hätten sie nicht zur Abschreckung eventueller Einbrecher die Lichter und den Plattenspieler auf Zeitschaltung angelassen. Als könne diese ganze verstaubte Pracht irgendeinen Einbrecher reizen? Ich an ihrer Stelle hätte die Haustür offengelassen und gehofft, daß endlich einer kommen und mir das Haus ausräumen würde.
Zum erstenmal fragte ich mich, wie ich in diesem Haus mit einem Rollstuhl zurechtkommen sollte, wenn es erst soweit war. Die Türen waren zwar im Gegensatz zu denen auf dem Hausboot breit genug, aber im übrigen war das ganze Haus eine einzige Hindernisbahn. Beklommenheit überfiel mich. Es schien nun doch so, als ob auf mich nicht eine Zukunft in Staffordshire Terrace bei Mutter und ihrem jungen Liebhaber wartete, sondern in einem Pflegeheim oder Krankenhaus mit breiten Korridoren und kahlen Räumen, wo die Patienten in die Glotze starrten, während sie auf das Ende warteten.
Und wenn schon, dachte ich. Ist doch schnurzegal. Es kommt allein darauf an, Mutter zu mobilisieren, damit sie dann, wenn das Stadium erreicht ist, wo Chris und ich Hilfe brauchen, bereit ist, uns diese Hilfe zu geben, ganz gleich, in welcher Form: Krankenhaus; Pflegeheim; eine eigene Wohnung, die auf mich und meine Bedürfnisse zugeschnitten war; ein Bankkonto, von dem ich das Geld abheben konnte, das ich für mich benötigte; jeden Monat einen Blankoscheck. Sie brauchte dieses Mausoleum nicht umzubauen und aufzumöbeln, um Raum für mich zu schaffen. Sie brauchte uns nur unter die Arme zu greifen. Und das würde sie doch bestimmt tun, wenn sie erst wüßte, was los war.
Das hieß aber, daß ich meine Krankheit beim Namen nennen mußte und mich nicht mit verschleierten Anspielungen auf meinen Zustand begnügen konnte. Es hieß weiter, daß ich ihr Herz rühren und ihr Mitgefühl wecken mußte. Und das wiederum hieß, daß ich im Beisein von Kenneth Fleming mit ihr sprechen mußte. Also, wo war der Junge? Wo war sie? Wo waren sie beide? Ich sah auf meine Uhr. Fast halb eins.
Ich streckte mich auf dem Sofa aus und starrte, den Kopf auf der Armlehne, zur Decke hinauf, die wie die Wände mit einer altmodischen Tapete bespannt war. Sie hatte, wie die im Eßzimmer, ein Granatapfelmuster. Der Granatapfel, diese magische Frucht. Wenn du einen der rubinroten Kerne ißt, dann - was? Wird dir ein Wunsch erfüllt? Werden deine Träume wahr? Ich konnte mich nicht erinnern. Aber ich hätte gut einen oder zwei Granatäpfel gebrauchen können.
Na schön, dachte ich, das war wohl nichts. Ich werde Max anrufen, damit er mich hier abholt. Vorher muß ich mir etwas einfallen lassen, was ich Chris erzählen kann. Muß Plan B
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