07 - Asche zu Asche
Chris. Ich schaff das jetzt schon allein. Fahr du los.«
»Ich will dich nur sicher ins Haus bringen.«
»Das ist doch nicht nötig. Mutter kümmert sich schon um mich.«
»Jetzt stell dich nicht an, Livie.« Er tätschelte meine Schulter, griff an mir vorbei und läutete.
Jetzt hab ich den Salat, dachte ich und überlegte, was, um alles in der Welt, ich sagen würde, um Mutters Schock zu kaschieren, wenn sie mich ungebeten, unerwartet und unvorhergesehen vor ihrer Tür stehen sah. Chris würde es sicher übelnehmen, daß ich ihn belogen hatte.
Dreißig Sekunden vergingen. Chris läutete noch einmal. Wieder warteten wir dreißig Sekunden, dann sagte er: »Du hast doch gesagt -«
»Sie ist wahrscheinlich auf der Toilette«, meinte ich. Ich nahm den Hausschlüssel aus meiner Tasche und betete, daß sie das Türschloß nicht ausgewechselt hatte. Sie hatte es nicht getan.
Chris blieb hinter mir an der Tür stehen, als ich hineinging. Ich rief: »Mutter? Ich bin's Olivia. Ich bin hier.«
Die Musik, die wir auf der Veranda gehört hatten, kam von oben. Frank Sinatra, der »My Way« sang. Es war gut möglich, daß das Läuten der Türglocke und meine Stimme im lauten Schluchzen von Old Blue Eyes untergegangen waren.
»Sie ist oben«, sagte Chris. »Soll ich sie holen?«
»Sie hat dich noch nie gesehen, Chris. Sie wird zu Tode erschrecken.«
»Aber wenn sie weiß, daß du kommst -«
»Sie glaubt, ich käme allein. Nein. Chris, nicht!« bat ich, als er zur Treppe am Ende des Korridors ging.
»Mrs. Whitelaw?« rief er im Hinaufsteigen. »Ich bin Chris Faraday. Ich habe Livie hergebracht. Mrs. Whitelaw? Livie ist hier.«
An der Treppenbiegung im ersten Zwischengeschoß verschwand er. Ich seufzte und schlurfte ins Eßzimmer. Wie passend; nun würde mir nichts anderes übrigbleiben, als die Suppe auszulöffeln, die ich mir eingebrockt hatte. Schmecken würde sie mir sicherlich nicht.
Ich mußte versuchen, eine halbwegs souveräne Position einzunehmen. Ich schleppte mich durch die Verbindungstür in den kleinen Salon, wo an einer Wand das scheußliche Sofa meiner Urgroßmutter stand, das dort schon seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Plüsch und Walnuß prangte. Ja, das war genau das richtige.
Als ich mich dort niedergelassen hatte, die Gehhilfe auf dem Boden und außer Sicht, kam Chris wieder.
»Sie ist nicht hier«, sagte er. »Jedenfalls nicht oben. In diesem Haus krieg ich das Gruseln, Livie. Man kommt sich vor wie in einem Museum. Überall dieser Krempel.«
»Hast du ihr Schlafzimmer gesehen? War die Tür geschlossen?« Als er den Kopf schüttelte, bat ich: »Schau doch mal in der Küche. Den Korridor entlang, dann durch die Tür, dann die Treppe runter. Wenn sie dort ist, hat sie uns nicht gehört.«
Aber selbstverständlich hätte sie die Türglocke gehört. Davon sagte ich nichts, als Chris sich neuerlich auf die Suche machte. Eine Minute verging. Frank Sinatra sang jetzt »Luck be a Lady«. Ein passendes Stück, fand ich.
Von unten hörte ich, wie die Hintertür geöffnet wurde, die in den Garten führte, und dachte, da ist sie. Ich holte noch einmal tief Luft, um mich zu beruhigen, setzte mich auf dem Sofa zurecht und hoffte, Chris würde sie nicht zu Tode erschrecken, wenn die beiden vor der Küche zusammentrafen. Aber gleich darauf hörte ich Chris draußen »Mrs. Whitelaw« rufen, und da war mit klar, daß er die Tür geöffnet hatte. Ich spitzte die Ohren, bekam aber nichts mehr mit. Er schien durch den Garten zu gehen. Ich wartete ungeduldig auf seine Rückkehr.
Sie sei nirgends, berichtete er, als er drei Minuten später wieder in den kleinen Salon trat. Aber in der Garage stehe ein Wagen, ein weißer BMW, ob das ihrer sei?
Ich hatte keine Ahnung, was für einen Wagen sie fuhr. »Ich nehme es an. Sie ist wahrscheinlich nur mal zu den Nachbarn rübergegangen.«
»Und Fleming?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er sie begleitet. Ist ja auch egal. Sie kommt bestimmt gleich zurück. Sie weiß ja, daß ich da bin.«
Ich zupfte an den Fransen eines orientalischen Schals, der über dem Rücken des Sofas lag. »Du hast den Motor laufen lassen«, erinnerte ich ihn so behutsam, wie es mir möglich war, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als daß er ging, ehe meine Mutter zurückkehrte. »Fahr du ruhig. Ich komm hier schon zurecht.«
»Ich laß dich aber nicht gern so allein hier zurück.«
»Ich bin nicht allein, Chris. Komm schon. Mach kein Theater. Ich bin
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