07 - Asche zu Asche
Kriminologieseminar, bei der es um nichts ging. »Sie töten im Jähzorn. Sie töten aus Gier. Oder in Notwehr.«
»Aber, das ist dann kein Mord.«
»Manchmal verstricken sie sich in Besitzstreitigkeiten. Oder sie wollen Selbstjustiz üben. Oder sie müssen ein anderes Verbrechen vertuschen. Manchmal töten sie auch, weil sie keinen anderen Ausweg wissen, zum Beispiel um sich aus Abhängigkeit oder Unterwerfung zu befreien.«
Sie nickte. Faraday saß reglos auf seinem Stuhl. Lynley sah, daß sich, während er gesprochen hatte, die schwarzweiße Katze lautlos in die Küche geschlichen hatte und auf den Tisch gesprungen war. Faraday schien das Tier nicht zu bemerken.
»Manchmal töten Menschen aus Eifersucht«, fuhr Lynley fort. »Aus unerwiderter Leidenschaft oder Liebe. Manchmal töten sie sogar irrtümlich. Sie zielen in die eine Richtung, schießen jedoch in die andere.«
»Hm. Ja, ich kann mir vorstellen, daß das passiert.« Olivia klopfte ihre Zigarette am Dosenrand ab. Dann steckte sie sie wieder zwischen die Lippen und zog mit beiden Händen ihre Beine näher an den Sessel heran.
»So war es in diesem Fall«, bemerkte Lynley.
»Wie?«
»Jemandem ist ein Irrtum unterlaufen.«
Olivia richtete ihre Aufmerksamkeit flüchtig auf die Zeitungen, wandte den Blick dann jedoch wieder zu Lynley.
»Niemand wußte«, fuhr Lynley fort, »daß Fleming an dem fraglichen Mittwochabend nach Kent gefahren war. Haben Sie sich das einmal klargemacht, Miss Whitelaw?«
»Da ich Fleming nicht gekannt habe, habe ich mich nicht näher damit befaßt.«
»Ihrer Mutter sagte er, er würde nach Griechenland fliegen. Seinen Mannschaftskameraden sagte er im wesentlichen das gleiche. Seinem Sohn erklärte er, er hätte eine Cricket-Angelegenheit zu klären. Aber er sagte keinem Menschen, daß er nach Kent wollte. Nicht einmal Gabriella Patten, die dort im Haus Ihrer Mutter wohnte und die er zweifellos überraschen wollte. Merkwürdig, finden Sie nicht?«
»Sein Sohn wußte, daß er dort war. Das steht doch in der Zeitung.«
»Nein. In der Zeitung steht, daß Jimmy gestanden hat.«
»Das ist doch Haarspalterei. Wenn er gestanden hat, daß er ihn getötet hat, dann muß er doch gewußt haben, daß sein Vater dort war.«
»So stimmt das nicht«, sagte Lynley. »Flemings Mörder -«
»Der Junge.«
»Entschuldigen Sie. Ja, natürlich. Der Junge. Jimmy, der Mörder, wußte, daß jemand im Haus war. Und diese Person sollte in der Tat das Opfer werden. Aber der Mörder glaubte -«
»Jimmy glaubte.«
»- die Person im Haus sei Gabriella Patten.«
Olivia drückte ihre Zigarette aus und sah Faraday an. Er brachte ihr eine neue. Sie zündete sie an und inhalierte den Rauch bis tief in die Lungen.
»Wie sind Sie denn darauf gekommen?« fragte sie schließlich.
»Weil niemand wußte, daß Fleming nach Kent wollte. Und sein Mörder -«
»Der Junge«, unterbrach Olivia kurz. »Warum sprechen Sie ständig von Flemings Mörder, wenn Sie wissen, daß es der Junge getan hat?«
»Tut mir leid. Die Macht der Gewohnheit. Das ist der Polizeijargon.«
»Sie sagten doch, Sie seien außer Dienst.«
»Das bin ich auch. Haben Sie Geduld mit mir, bitte. Flemings Mörder - Jimmy - liebte Fleming, hatte aber allen Grund, Gabriella Patten zu hassen. Sie war ein Störfaktor. Fleming liebte diese Frau, aber er war infolge der Affäre ständig in innerem Aufruhr, den er nicht verbergen konnte. Darüber hinaus war damit zu rechnen, daß die Affäre Flemings Leben drastisch verändern würde. Wenn er Gabriella tatsächlich heiraten sollte, würde sein Leben eine ganz andere Bahn einschlagen.«
»Insbesondere würde er nie wieder nach Hause zurückkehren.« Olivia schien diese Schlußfolgerung zufriedenzustellen.
»Aber genau das wollte der Junge doch, nicht wahr? Er wollte doch, daß sein Vater wieder nach Hause kommt.«
»Ja«, bestätigte Lynley, »ich denke, das war das Motiv für das Verbrechen. Flemings Heirat mit Gabriella Patten zu verhindern. Es hat wirklich Ironie, wenn man sich die Situation vor Augen führt.«
Sie fragte nicht: Welche Situation? Sie hob nur ihre Zigarette und beobachtete ihn durch die Rauchschleier.
»Kein Mensch hätte sterben müssen«, fuhr Lynley fort, »hätte Fleming weniger männlichen Stolz besessen.«
Unwillkürlich zog Olivia die Augenbrauen zusammen.
»Ja, sein Stolz ist schuld an dem Verbrechen«, erläuterte Lynley. »Wäre er weniger stolz gewesen, so wäre er auch in der Lage gewesen, darüber zu
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